Moin moin liebe Freundinnen und Freunde von
KURS FAHRRADSTADT,
kurz vor der Sommerpause möchten wir einen Blick zurück werfen, auf die aktuellen Schritte und Umsetzungen in Richtung Mobilitätswende und Fahrradstadt Hamburg.
Wir freuen uns, dass es neue Buslinien gibt, dass keine Autos mehr über den Jungfernstieg cruisen dürfen und weitere StadtRAD-Stationen entstehen, um nur einiges zu nennen. Uns ist bewusst, dass viele Straßenumbauten umgesetzt werden, die langjährig geplant sind. Sie liegen damit vor der Zeit einer Mobilitätswende-Behörde. Mit Blick auf die bald zweieinhalb Jahre, in denen wir eine grün geführte Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) in Hamburg haben, stellten wir unseren FollowerInnen auf twitter folgende Frage:

Aus den Rückmeldungen und unseren persönlichen Raderfahrungen kommt heraus: Für Hamburger Verhältnisse gut sind die neuen, geschützten Radwege an der Esplanade in der City. Auch die Steinstraße wartet nun mit einigen sehr angenehm zu radelnden Stellen auf. Schön finden wir z.B. die Lösung rund um die Bushaltestelle auf der Steintordamm-Brücke. Von den neuen Aufgängen zu den Bahngleisen am Hauptbahnhof (leider nicht barrierefrei) laufen die Menschen nun nicht mehr kreuz und quer über die Protected Bike Lane (PBL).
Ein anderes Radelgefühl gibt’s auch auf dem Ballindamm, vor allem stadtauswärts. Dieser XXL Radweg dürfte sicher einer der breitesten auf dem Kontinent sein – schade nur, dass er nicht geschützt ist und leider auch zugeparkt werden kann.
Ein Highlight sind gewiss auch die neuen „Copenhagen Lanes“, die halbhohen Radwege, die nun erste Teilstücke der Elbchaussee zieren. Auch die PBL in der Harburger Hannoverschen Straße wollen wir nicht unerwähnt lassen.
Positives Feedback aus der Twitterblase gibt es auch zur neuen Fahrradstraße in der Thadenstraße, Altona. Hier wurde die Definition einer Fahrradstraße nach Straßenverkehrsordnung (StVO) ernst genommen. Nur in Ausnahmefällen sind Autos als „Gäste“ zugelassen. Aber hey, Fahrradstraßen, auf denen man wie im Paradies radeln kann, mit Spaß und absolut sicher weil eben nur Menschen auf Rädern unterwegs sind (100% StVO-konform) sind uns aus der Hansestadt bisher nicht bekannt. Wer eine kennt, möge uns bitte schreiben an ahoi@kursfahrradstadt.de.
Die Königstraße wurde uns als positives Beispiel genannt. Sie hat jetzt deutlich breitere Fahrradstreifen als üblich. Und dann noch: Mörkenstraße in Altona, Teile der Sengelmannstraße, Teile der B75 in Meiendorf sowie der Dammtordamm West in der City.
Aufzählen möchten wir noch die neuen und inzwischen teils Ex-Popup-Bikelanes am Schlump, in der Max-Brauer-Allee und Hallerstraße. Vergleicht man diese (temporären) Fahrradwege mit den Bikelanes in Berlin verblasst die Hamburg-Variante leider. Es fehlt der Aspekt „protected“ also geschützte Radinfrastruktur in den allermeisten Fällen.
Das Bild ist sicherlich nicht vollständig. Schreibt uns doch gerne an ahoi@kursfahrradstadt.de wo ihr noch Verbesserungen wahrnehmt. Vielen Dank allen, die uns bereits geantwortet haben.
All diese recht neu gebauten Infrastrukturen zeigen, dass die Stadt das Ziel „Fahrradstadt“ konsequent verfolgt. Und doch ist all das Genannte nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, sind es doch hamburgweit nur wenige hunderte Meter, die man inzwischen zusätzlich auf neu gemachten Wegen strampeln kann. Vieles davon ist millionenschwer entstanden und damit eigentlich viel zu teuer für die Erfordernisse, um den Radverkehr in der gesamten Metropole zügig voranzubringen und leider weiterhin nicht sicher genug, um Kinder ohne Weiteres hier radeln zu lassen.
Wir wollen Hamburg in allen Bereichen zu einer Stadt für das Leben von morgen machen.
Eine Zukunftsstadt ist eine nachhaltige Metropole, die aktiv zum Schutz des Klimas beiträgt. Der Klimawandel fordert entschlossenes Handeln
Darauf haben sich SPD und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag eingeschworen. Und:
Insbesondere nimmt die Freie und Hansestadt Hamburg ihre Verantwortung für die Begrenzung der Erderwärmung wahr.
Das ist in der Hamburger Verfassung aufgenommen worden, direkt in die Präambel. Damit ist Klimaschutz zum Verfassungsziel im Bundesland Hamburg ernannt.
Auch die Demokratie wird auf mehreren Ebenen mitgedacht:
Um die politische, soziale und wirtschaftliche Gleichberechtigung zu verwirklichen, verbindet sich die politische Demokratie mit den Ideen der wirtschaftlichen Demokratie.
Wirtschaftliche Demokratie, holla!
Das wäre mal ein spannendes Thema, um in die Diskussion zu gehen, was denn damit genau gemeint ist. Wird hier das Ungleichgewicht zwischen privatwirtschaftlicher und demokratischer Macht angesprochen? Geht es um den Gedanken einer Gemeinwohl-Ökonomie? Und wie passt das in unseren Augen missinterpretierte Hamburger Mantra „Der Wirtschaftsverkehr muss fließen.“ dazu, erstickt es doch viele Ansätze, die dem Gemeinwohl dienen würden, direkt im Keim (z.B. Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit und Beitrag für einen guten und sicheren Verkehrsfluss)? Was ist aus der sozialen Gleichberechtigung im zweiten Teil des obigen Satzes geworden?
Von sozialer Gleichberechtigung auf der Straße sind wir weit entfernt. Und damit leider auch vom Recht auf körperliche Unversehrtheit wie es das Grundgesetz formuliert. Während Helsinki die Vision Zero schafft, d.h. keine tödlichen Unfälle für FußgängerInnen und RadfahrerInnen, gab es im letzten Jahr auf Hamburgs Straßen weiterhin 20 Tote, darunter ein Kind. Zuletzt ließ eine 19-jährige junge Frau in Poppenbüttel ihr Leben, als diese auf dem Rad fahrend von einem rechts abbiegenden LKW überfahren wurde – gestern.
Wie also machen die Finnen das bloß?
Was ist der Unterschied zwischen Finnland und Deutschland?
Bei uns ist Alkohol günstiger, dafür kann man in Finnland ungestört Radfahren.
Das funktioniert tatsächlich, weil Autofahrspuren zurück gebaut werden, weil Tempo 30 oder Tempo 40 auf den Hauptverkehrsstraßen die Regelgeschwindigkeit in der Stadt sind. Das kann man sich in Hamburg leider überhaupt nicht vorstellen, denn unser Maß der Dinge ist die Leichtigkeit. Jupp – richtig verstanden! Verkehr muss rollen, leicht rollen. Die Autos und Wirtschaft-LKW, die fahren, sind damit gemeint. Die anderen normalen Autos, SUVs und Bullys, die mehrheitlich nur so in der Gegend herumstehen, werden da natürlich nicht mitgerechnet, wie gesagt, muss ja alles im Fluss sein.
Würde jedoch die Hamburger Verfassung so richtig ernst genommen („Der Klimawandel fordert entschlossenes Handeln“), dann würde man die Leichtigkeit des Umweltverbunds an die allererste Stelle platzieren
Klar muss der öffentliche Nahverkehr, der Rad- und Fußverkehr Priorität bekommen. Denn nur bei diesen Verkehrsträgern kann man so richtig Einfluss nehmen auf die Begrenzung klimaschädlicher Emissionen. Und das Gute daran: Ein richtig verlockendes Angebot, das Mensch zügig von A nach B bringt, ohne Endlosstaus, zudem noch klimafreundlich – nur das würde die Masse an PKW verringern weil der Umstieg attraktiv wird. Auf den Restfahrbahnen ist dann auch endlich Platz für den Wirtschaftsverkehr, der ja längst auch mit Cargobikes oder anderen klimafreundlichen Fahrzeugen unterwegs ist.
Wobei, was spricht eigentlich dagegen, den Verkehr noch weiter zu beschleunigen? Würde die Verkehrspolitik in Hamburg Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit einführen, so dass nur noch die davon abweichenden Geschwindigkeiten ausgeschildert werden müssten, dann ist man immerhin fixer unterwegs als mit den 27 Stundenkilometern, mit dem – leicht leicht – der motorisierte Verkehr aktuell im Schnitt in der Elbmetropole unterwegs ist.
Die Finnen dagegen weisen in Helsinki LKW in die Dunkelheit, wobei man eher sagen müsste: Ins Gestein. Denn das, was in Finnlands Hauptstadt zur Zeit voran getrieben wird, geschieht nicht oben, sondern unten. Dazu muss man wissen, dass im Grunde die ganze Stadt, eher das halbe Land auf 100 Millionen Jahre alten, massiven Granit liegt, da müssen nur noch ein paar Löcher rein. Das ist übrigens auch etwas, was die Finnen toll können – und so verwundert es nicht, dass nach rund 40 Jahren, die die Stadt seitdem nach unten baut, der Boden unter Helsinki inzwischen so etwas wie ein Schweizer Käse ist. Vom Shopping-Center über Kartbahn, Schwimmhalle bis Kunstgallerie und Bus-ZOB oder natürliche Wärme- und Kältekraftwerke – all das ist in den nordischen Fels geknallt (das ist ein wenig off-topic, aber dennoch äußerst interessant!). 10 Millionen Kubikmeter Raum wurden bisher so geschaffen, oftmals mit Zivilschutz-Hintergedanken, aber auch – und darum schreiben wir es hier – um Laster unter der City hindurchfahren zu lassen. Über drei Kilometer ist der „Service-Tunnel“ lang, damit, man staune, oben mehr Platz für „Stahlungetüme“* ist, oder ganz einfach für Menschen.
Hamburg buddelt bekanntlich auch gerne in der Erde und will damit bald wieder im richtig fetten Stil durchstarten, denn nie und nimmer soll es hier diese „Stahlungetüme“ geben, ein „altmodisches Transportmittel“ – so hat es unser Bürgermeister erst vor einigen Tagen erklärt. Gleichzeitig heißt es im Regierungsprogramm der SPD :

Was denkt die Mehrheit der Hamburger:innen über die Straßenbahn? Wie soll Klimaschutz gelingen, wenn der Bau einer U-Bahn so viele Emissionen verursacht, dass wir unsere Klimaziele für die nächsten Jahrzehnte einpacken können? Tram, Stadtbahn, Straßenbahn, das ist laut unserem Bürgermeister nur was für Nostalgiker, „keine Metropole würde sich solche Stahlungetüme noch in ihr Zentrum stellen“.
Naja, bis auf Algier, Peking, Luxemburg, Odense, Granada, Bergen, Lund, London, Kopenhagen,…. (all diese Städte und Metropolen haben die Tram seit den 2000er Jahren eingeführt oder sind noch dabei, dies zu tun). Dazu gerne noch einmal unser „Tram and Freedom“ lesen.
Wir schicken statt LKW lieber die Menschen unter die Erde, passt sowieso gut mit all der Bestatterwerbung in den Bahnen hier, auf dass die Menschen von der schönsten Stadt der Welt möglichst nichts mehr sehen. Weil, oben regiert ja die Leichtigkeit, aber das hatten wir eben schon.
Wie auch immer, ob oben, ob unten, Verkehrspolitik in Hamburg kann man planen, man kann sich Ziele setzen und dafür gibt es eine Art Blaupause, die Städte als Gerüst nehmen können, wo sie sich lang hangeln können, wenn sie in die Zukunft denken. Das ganze nennt sich SUMP (Sustainable Urban Mobility Plan), den man zwar nicht haben muss, ihn aber zu nutzen von der EU empfohlen wird. Denn erst mit ihm müssen Prioritäten tatsächlich gesetzt und Erfolge sowie Misserfolge in regelmäßigen Abständen gemessen werden. Gewinnerin für den besten SUMP 2021 war (wie erstaunlich, schon wieder Finnland!) die Stadt Tampere. Hier kann man ihn bestaunen, leider nur auf finnisch.
Einer der Gründe für den Sieg war übrigens ein „altertümliches Stahlungetüm“ im dortigen Zentrum. Tampere eröffnete die vollkommen neue Straßenbahn im August 2021, seitdem geht’s hyggelig und inklusiv durch Finnlands zweitgrößte Stadt.
Tampere gewinnt SUMP 2021, auch dank Stahlungetüm
Viele Städte stellen SUMP oder nachhaltige Verkehrsentwicklungspläne (VEP) seit Jahrzehnten auf. Berlin hat seit 2003 einen Stadtentwicklungsplan Verkehr; München seit 2006 einen VEP, Österreich gar für die ganze Nation seit 2012 einen Gesamtverkehrsplan bis ins Jahr 2025 aufgestellt, nun fortgeschrieben als Mobilitätsmasterplan bis 2030.
Und Hamburg? Hier wird der erste „Verkehrsentwicklungsplan“ gerade erarbeitet, kommt daher mit viel Bohei, noch mehr Bürgerbeteiligung und einem Quartett-Spiel. Wenn wir schon den Umstieg in die Zukunft vertrödeln, dann wenigstens kartenkloppend…
Fertig ist der Hamburger VEP unseres Wissens bisher noch nicht. Wie viel Nachhaltigkeit er enthalten wird – wir sind gespannt.
Tram hin, Tram her
Wollen wir nicht doch noch einmal über eine #neueTramfürHamburg reden? Wir wollen!
Eine vor einigen Tagen frisch vorgestellte Studie vergleicht die geplante U5 mit einem Alternativ-Vorschlag für eine neue Tram. Ach was, nicht eine, gleich für fünf neue Linien! Mit 109 (!!!) oberirdischen statt 23 (!!!!) tief unten liegenden Haltestellen, fertig in ein paar Jahren zum Bruchpreis der neuen Tunnelbahn. Es lohnt sich absolut, die Studie, von der Fraktion Die Linke in Auftrag gegeben, einmal genauer anzusehen.
„Moderne Stadtentwicklung und klimaneutrale Mobilität ist ohne eine attraktive Straßenbahn nicht zu schaffen und eine „ideologiefreie“ ÖPNV-Diskussion ohne politische Dogmen ist mehr als überfällig“, heißt es im Fazit, das der U5 bescheinigt, komplett am Bedarf der Bürgerinnen und Bürger vorbeizufahren.

Skandalöse Hamburgensie
Von einer „drohenden“ Tram lässt sich Hamburg aber doch nicht unterkriegen – nicht die Stadt mit all den Superlativen die es gab, gibt und auf jeden Fall noch geben wird. Wir haben vielleicht die meisten eScooter, die größte Anzahl an Carsharing-Anbietern, Wasserstofftankstellen und noch mehr eLadesäulen. Noch viel besser ist aber etwas ganz anderes – und das hat garantiert keine einzige andere Stadt oder anderes Bundesland so:
Unsere zweite Verkehrsbehörde, die obere und untere, liegt beim Senat bzw. auf ministerieller Ebene und nicht in den Bezirken (bzw. auf kommunaler Ebene wie in allen anderen Bundesländern Deutschlands). Nur warum ist das so und was soll daran so gut sein, dass daran so intensiv von der Landes-SPD festgehalten wird?
Zur Erläuterung: Die eine Verkehrsbehörde, das ist die vom grünen Senator Anjes Tjarks geführte Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM). Hier liegt u.a. die Verantwortung für die Erreichung des Prädikats „Fahrradstadt“, seit kurzem sind auch die FußgängerInnen entdeckt und sollen stärker beim Umbau berücksichtigt werden. Velorouten, Fahrradschnellwege, Fahrradabstellanlagen (hoffentlich die nächsten ohne Treppen), Magistralenentwicklungen und vieles mehr liegen also in der BVM-Zuständigkeit nach unserem Verständnis.
Die andere ist die Verkehrsbehörde, die heißt tatsächlich so schnöde, ist aufgesplittet in eine „obere“ und eine „untere Verkehrsbehörde“. Während die obere nicht nur für die stadtweite Verwaltung des Apparats zuständig ist, ist die untere konkret für die Sicherheit auf den Straßen, die Auslegung, Ausgestaltung, Kontrolle sowie Um- und Durchsetzung der StVO sowie der Verkehrsregeln vor Ort und auf den Straßen zuständig. Der andere Name der „Unteren Verkehrsbehörde“ lautet Polizei. Die einzelnen Kommissariate, verteilt über die ganze Stadt und alle Bezirke, sind es, die bei JEDER Maßnahme, JEDER Idee und JEDEM Plan angehört werden muss und sie sind es, ohne deren Segen in Hamburg gar nichts läuft.
Was die Bezirke in ihren Ausschüssen und Versammlungen dabei entscheiden, spielt zunächst keine große Rolle, denn obwohl die Kommissariate in den verschiedenen Stadtteilen und Bezirken ihren Sitz haben, haben die Bezirke der „Unteren Verkehrsbehörde“ de Fakto nichts zu sagen. Ihr Chef ist der Innensenator, SPD. Seit Jahren bemühen sich die Grünen, die „Untere Verkehrsbehörde“ weg vom Senat und in die Zuständigkeit der Bezirke zu verlegen wie im Rest der Nation, bisher ohne Erfolg.
Verkehrspolitik in Hamburg:
Alle rennen gegen Wände – oder sie lassen es irgendwann
Im politischen Alltag passiert in Hamburg darum oft das immer gleiche Spiel:
Engagierte BezirkspolitikerInnen perlt der Angstschweiß beim bloßen Gedanken an die „Untere Verkehrsbehörde“ von der Stirn und sie geben fast schon resigniert auf und wenn nicht, schnüren sie selten bis gar nicht Anträge, die man als radikal bezeichnen könnte. In vielen unserer Gespräche mit BezirkspolitikerInnen, auch Erzählungen anderer aus der Mobilitätsszene, vom Fahrradclub bis zu Eltern, die für sichere Schulwege streiten, von Menschen, die in Bezirksämtern arbeiten bis zu VerkehrswendeaktivistInnen, immer wieder ist zu hören: „aber die untere Verkehrsbehörde…“. Was ist das Problem unserer „Freunde und Helfer“?
Sie legen die StVO extrem streng aus. Aus unserer Sicht strenger als sie tatsächlich zu deuten ist, z.B. was das temporäre Experimentieren angeht. Es lohnt ein Blick insbesondere in den Paragraphen 45 der StVO. Da liest man doch tatsächlich unter 1b), dass die Straßenverkehrsbehörden die notwendigen Anordnungen treffen, „zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen oder zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung.“
Unter Absatz 9 wird es besonders spannend (nein, wir sehen die StVO bei Weitem noch nicht als gelungene Verordnung an, um die Mobilitätswende zu schaffen, deswegen unterstützen wir die Bemühungen einer grundlegenden Überarbeitung). Da heißt es zunächst ernüchternd: „Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.“
Doch dann geht es weiter mit folgenden Hinweisen:
„Satz 3 gilt nicht für die Anordnung von
- Schutzstreifen für den Radverkehr (Zeichen 340),
- Fahrradstraßen (Zeichen 244.1),
- Sonderwegen außerhalb geschlossener Ortschaften (Zeichen 237, Zeichen 240, Zeichen 241) oder Radfahrstreifen innerhalb geschlossener Ortschaften (Zeichen 237 in Verbindung mit Zeichen 295),
- Tempo 30-Zonen nach Absatz 1c,
- verkehrsberuhigten Geschäftsbereichen nach Absatz 1d,
- innerörtlichen streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkungen von 30 km/h (Zeichen 274) nach Absatz 1 Satz 1 auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) oder auf weiteren Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) im unmittelbaren Bereich von an diesen Straßen gelegenen Kindergärten, Kindertagesstätten, allgemeinbildenden Schulen, Förderschulen, Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern,
- Erprobungsmaßnahmen nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 zweiter Halbsatz,
- Fahrradzonen nach Absatz 1i.
Moment mal, heißt das, dass in all den obigen Aufzählungen 1-8 Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs möglich sind?? Insbesondere 7 – die Erprobungsmaßnahmen fallen da doch positiv auf. Auch wenn es sprachlich dringend anzupassen ist, dass fließender Verkehr anscheinend nur motorisierten Verkehr meint. Radfahren ist damit kein Verkehr. Zu Fuß gehen auch nicht. Aber das hatten wir ja schon, dass dringend nachgebessert werden muss und das Wort „Umweltverbund“ (also Öffentlicher Nahverkehr, Rad- und Fußverkehr) Priorität erhalten müssen.
Hey Polizei, sei nicht so streng!
Wir sind keine JuristInnen und vielleicht verstehen wir die StVO nicht richtig. Aber wir würden sagen, hey, Polizei – so streng müsst ihr nicht sein und nur bei Gefahrenlagen agieren (meist erst wenn heftige Unfälle passiert sind). Das ist in unseren Augen alles andere als vorausschauend, vorsorgend, Sicherheit schaffend und menschlich – es mutet zynisch an, dass meist erst mindestens ein Mensch ums Leben kommen muss, sich Proteste aus der Bevölkerung formieren müssen, bevor gehandelt wird. So zumindest ist unser momentaner Eindruck. Sollten wir irren, danken wir auch jedem Polizeikommissariat (PK) für einen korrigierenden Hinweis!
Zurück zum Zuständigkeitsdilemma: Für Vieles seien die Bezirke zuständig, stimmt natürlich auch, denn sie sind für alle Straßen zuständig, die nicht Teil des Hauptverkehrsnetzes sind. Für das zweite wichtige Straßennetz, das „strategische Netz“, sind sie ebenfalls in den meisten Fällen verantwortlich. Sollen die Bezirke doch bitte entsprechende Vorhaben beantragen, dann ginge was – und damit beginnt das Spiel von vorne.
Und Leute, das ist noch längst nicht alles:
Obwohl die sieben Bezirke eigene Parlamente haben, die von den BürgerInnen gewählt werden, haben die Bezirke selbst in Hamburg recht wenig zu sagen. Am besten erkennbar daran, dass im Grunde jede Drucksache, die von Bezirksversammlungen beschlossen wird, mit dem Satz beginnt:
„Der/die BezirksamtsleiterIn wird geben, sich bei der (Senats-)Behörde für…… dafür einzusetzen, dass blablabla…..“.
Und der Senat kann einfach sagen „Nö!“.
Insbesondere wenn die Senatsbehörde die Innenbehörde ist – mit der Oberen und Unteren Verkehrsbehörde. StadtteilpolizistInnen aus den PKs sitzen also mit am Entscheidertisch, was ja an sich nicht schlecht ist, wenn sie nicht viel zu häufig das Veto in den Raum werfen würden.
Hat man sie noch nicht geschult in Sachen Mobilitätswende? Auf dem kürzlich in Amsterdam stattgefundenen Living Lab Summit (es geht um Reallabore) war ein Polizist der Stadt Amsterdam dabei. Ein junger Kollege mit der zusätzlichen Zuständigkeit, sich für Innovationen, Transformation der Stadt, etc. schlau zu machen und Ideen in die Polizei zurück zu tragen. Chapeau! Warum nicht auch hier in Hamburg?
Obwohl wir also in Hamburg momentan die Grünen in der Koalition haben und auch in einzelnen Bezirken mitregierend, verpuffen die Möglichkeiten und Gestaltungsspielräume aufgrund von Blockadehaltungen, der irrigen Annahme, der Verkehr fließt nur auf vielen zur Verfügung stehenden Fahrspuren (für alle) und wider besseren Wissens wenn es um die Staustatistik geht. Konsequentere Ansätze, wie sie in Berlin vor allem Friedrichshain-Kreuzberg energisch vorantreibt, bleiben in Hamburg höchstens unerreichbare Wunschträume, denn damit kann selbst das Dauerprojekt mit Unterbrechungen, „Ottensen macht Platz“ und nun Verkehrsversuch „Freiraum Ottensen“ nicht wirklich mithalten.
Berlin Trendsetter für Stadttransformation
Der Graefekiez in Berlin soll dort bald von parkenden Autos befreit werden, komplett, rund 2.000 Parkplätze werden dort gestrichen für 6 Monate bis 1 Jahr, in einem Gebiet, in dem 20.000 Menschen leben. Die Begründung hat es in sich:
„Eine wirksame Klimapolitik erfordert eine Begrenzung des mobilisierten Individualverkehrs (MIV) insbesondere dort, wo ein hoher Siedlungsdruck herrscht und die Bewohner*innen und Besucher*innen ausreichende Alternativen zur Verfügung haben.“
Und:
„Der vom WZB [das den versuch wissenschaftlich begleitende Wissenschaftszentrum Berlin] verfolgte Ansatz geht von der Hypothese aus, dass vor allen Dingen das weitestgehend kostenfreie Parken von Fahrzeugen zur hohen Attraktivität des MIV beiträgt. Wenn diese Möglichkeiten nicht mehr gegeben sind, werden sich Menschen von Fahrzeugen trennen und mutmaßlich auch weniger Personenkilometer mit dem MIV absolvieren.“
Wumms – so geht das!
Hier den ganzen Antrag lesen und darauf achten, wer hier zuständig ist. Über den geplanten Versuch wurde bereits bundesweit berichtet, hier ein Artikel aus dem Tagesspiegel. Aus Berlin haben wir vor einigen Tagen die Information bekommen, dass die TreiberInnen dieses Vorhabens sehr optimistisch sind, dass der Antrag demnächst angenommen wird. Inzwischen ist dies sogar geschehen!
Nur kurz zur Erinnerung: Die derzeitige Koalition in Hamburg aus SPD und Grünen hat erkannt: „Der Klimawandel fordert entschlossenes Handeln.“
Tja, wir erinnern uns kurz an den tollen Erfolg auf der Edmund-Siemers-Allee, als wir dort eine Fahrbahn in der Rushhour zum geschützten Radweg machen durften. Die Polizei stellte fest, dass es zu keinen zusätzlichen Verkehrsbehinderungen kam. Es kam Lob von den Grünen und das war’s. Zu unserem Verkehrsversuch kann man hier nochmal reinschauen.

Im Vergleich zu Berlins Graefekiez und mit Blick in unsere neueste Vision des SUPERBÜTTELs: Hier leben nur ca. 5.700 Menschen, wir reden über zwei recht kleine Flächen, die im Gesamtkonzept autobefreit werden sollen. Konkret geht es dabei um die Bereiche vor der Grundschule Rellinger Straße sowie den von uns „Hammonia-Platz“ getauften Ort an Methfesselstraße und Langenfelder Damm, der zukünftig nach Bezirksbeschluss Parnass-Platz heißen soll. Es sind Marginalien – übertragbar auf ganz viele weitere sinnvolle Orte in Hamburg, wo der Durchgangsverkehr für Autos unterbrochen werden könnte, um Aufenthaltsqualität, Ruhe, weniger Abgase und ein bisschen mehr Stadt für die Menschen zu schaffen. Der Bezirk Eimsbüttel arbeitet intensiv an der Umsetzung – wir sehen das positiv und möchten keine Gelegenheit auslassen zu erwähnen, dass entschlossenes Handeln gemeinsam mit der Zivilgesellschaft stattfinden muss. Nehmt uns also bitte weiter mit, Bezirkspolitik und Verwaltung! An dieser Stelle noch der Hinweis zu einer neuen, sehr umfangreichen Reportage über das SUPERBÜTTEL, die auch auf den aktuellen Stand der Entwicklungen eingeht: „SUPERBÜTTEL, Quartier für Menschen“ [PDF Download], Mai 2022, ab Seite 5.
Wegeduckt im Schatten: Hamburgs Mobilitätswende-Bremser
Um es noch einmal zu sagen:
Mit dieser Konstellation der Zuständigkeiten für die Verkehrspolitik in Hamburg haben wir es mit einer waschechten Hamburgensie zu tun – etwas, was es so nur in Hamburg und sonst nirgends gibt. Über diesen Fakt, der es Bremsern einer wirklichen Mobilitätswende in der Hansestadt sehr leicht macht, sich im Schatten wegzuducken und aus unserer Sicht einer der Hauptgründe ist, warum es in Deutschlands zweitgrößter Stadt nicht voran geht, wird leider viel zu wenig gesprochen – weder in der Stadt noch in überregionalen Medien.
Nicht ganz unerwähnt lassen möchten wir jedoch auch, dass nachhaltige Städteplanung mit klimafreundlicher Verkehrsplanung zusammen gedacht werden muss. Dieser Wink in Richtung Stadtentwicklungsbehörde (BSW) ist uns ebenfalls wichtig. Wir haben alle das gleiche Ziel, Hamburg lebenswert, sauber, sicher, gesund und bis 2045 treibhausgasneutral zu machen. Lasst uns diese Aufgabe entsprechend mit hochgekrempelten Ärmeln und Gestaltungsfreude angehen. So viele andere Metropolen laufen voraus und zeigen – die Städte werden besser nicht schlechter, egal ob mit oder ohne Hafen.
Fahrradstadt = FußgängerInnen-Stadt
Neben den Radfahrenden hat man nun also auch die zu Fuß Gehenden entdeckt und mit in das bestehende Bündnis für den Radverkehr aufgenommen, als Bündnis für den Fußverkehr. Betonung auf der letzten Silbe: Verkehr! Bei einigen Projekten wird stolz erwähnt, mit wie vielen Behörden und Stellen (bis zu zweistellig!) Dinge geklärt werden müssen, nur um irgendwo einen Radweg oder -streifen anzulegen. Leute, sind wir doch mal ehrlich: Schaltet das Flutlicht ein und schaut auf alles gemeinsam! Das punktuelle Anstrahlen erzeugt viel Schatten und der rächt sich früher oder später.
Übrigens, um ein weiteres Mal kurz auf die Fahrradinfrastruktur zurückzukommen, die in Hamburg bisher bekanntlich in erster Linie aus Fahrbahnmalereien bestehen – wir haben hier noch etwas Schönes gefunden: CIVITAS „Smart choices for cities – Cycling in the City“ – EU Policy Notes [PDF Download, 2,19 MB].
Es geht ganz schlicht um Geschwindigkeiten und die dazu empfohlene Infrastruktur für Radfahrende:

Primary Roads, alles mit viel und schnellem Verkehr (Tempo 50), benötigt demnach separierte, also vom schnell fahrenden, motorisierten Verkehr geschützte Radwege. Secondary Roads, Straßen mit niedriger Geschwindigkeit (Tempo 30) bzw. solche mit hoher Geschwindigkeit, aber wenig Verkehrsaufkommen, können visuell separiert werden, sprich es genügt hier Farbe auf dem Asphalt. In Local Roads wird keine spezielle Infrastruktur für Fahrräder empfohlen, hier gilt ohnehin höchstens Tempo 30 und es gibt wenig Verkehr.

Für Hamburg bedeutet das, dass für sämtliche Hauptverkehrsstraßen (gelb, Tempo 50 und hohes Verkehrsaufkommen überwiegend durch Autos) sowie im Grunde das gesamte strategische Straßennetz (blau, hier in der Regel auch Tempo 50 und oder hohes Fahrzeugaufkommen) geschützte und damit separierte Radwege geschaffen werden müssen. Oder das Tempo geht runter.
Genau das, was KURS FAHRRADSTADT fordert.
Hier haben bald 10.000 Menschen dafür unterschrieben.
Du auch?
Mailand arbeitet übrigens auch daran, die Radwege zu verbessern.
Bis 2035 möchte man dort 750 Kilometer geschützte Radwege eingerichtet haben und damit sogar Paris (680 Kilometer) übertreffen. Geschützt, separiert, sicher. Wow.
„The network is the goal, and some cities take 20 or 30 years, but the ones that have been really successful – Seville in Spain, Calgary in Canada – put the network on the ground almost overnight.“
Chris Bruntlett, Communications Manager Dutch Cycling Embassy
(ganzes Interview lesen)
Verkehrspolitik in Hamburg:
Es braucht Ideen, Prioritäten, einen SUMP und politischen Willen!
Was will Hamburg wirklich? Sich der bundesweit von agora Verkehrswende und dem Deutschen Städtetag geforderten Initiative für Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit anschließen jedenfalls nicht. Wir sehen nicht die klaren Zielvorgaben und Prioritäten über alle Verkehrsträger hinweg – das schließt auch die Wasserwege mit ein.
Soll Radverkehr boomen, FußgängerInnen wieder deutlich mehr Platz gegeben werden? Oder soll der ÖPNV ausgebaut werden und Vorrang bekommen? Man weiß es nicht. Klar ist – der Platz auf der Straße ist begrenzt und kann nur einmal verteilt werden. Aktuell hat der Umweltverbund das Nachsehen. Das ist für uns kein entschlossenes Handeln, um den Klimawandel zu begegnen.
Umweltverbund hat immer noch das Nachsehen in Hamburg
Was hält uns eigentlich davon ab, Hamburg lebenswerter zu machen? Die Aussage, dass die Stadt schon die Schönste ist?
Die STVO? Die liebe Polizei?
Als „Modellstadt für den Klimaschutz“ (Tschentscher) suchen wir noch das Modell, das andere Städte nachmachen sollen. Dass wir das noch nicht gefunden haben, liegt vielleicht auch daran, dass es keine glaubwürdige und nachvollziehbare Vision gibt, wohin die Reise denn nun gehen soll. Man werkelt an allem herum und hofft, es reicht dann schon irgendwie. Und setzt auf Einsicht der BürgerInnen trotz überfüllter Busse und Züge.
Selbst das alles kann Hamburg noch toppen:
„Ziel ist 1 [sic!] Verkehrsversuch pro Jahr“, in ganz Hamburg, wohlgemerkt! Steht genauso im rot-grünen Koalitionsvertrag. Hallo Berlin, habt ihr schon einmal etwas vom „Verkehrsversuch Grelckstraße“ gehört? Nee? Das ist ja ein Unding! Höchste Zeit, sich mal schlau zu machen, was in Hamburg sonst so alles geht! Und hinterher mit Streetview gerne mal durch die Straße surfen…
Was schafft man in weiteren acht Jahren?
Dann ist 2030 da und wenn wir die nationalen Klimaziele nicht reißen wollen, sollten bis dahin 65% der CO2-Ausstöße weg sein. Prima Sache, doch das heißt auch, dass 65% der klimaschädlichen Verkehrsmittel verschwunden sein müssen. In acht Jahren, wenn ich mir doch heute erst einen neuen SUV gekauft habe? Das sind fast 2/3 aller Autos mit Verbrennermotor, die natürlich nicht 1:1 ersetzt werden dürfen, sondern am besten tatsächlich verschwinden müssen, wenn wir die Mobilitätswende rocken wollen. Das klappt, wenn Vernetztes, klimafreundlich Elektrifiziertes Ride-Car-Poolsharing kombiniert wird mit all den kleinen, neueren Mikromobilitätsgeräten wie Onewheels, E-Roller etc.. Sichere, inklusive Zufußgeh- und Fahrradinfrastruktur tragen ihren Teil zum Gelingen bei ebenso wie ein schlagkräftiger, der Metropole Hamburg würdiger Gütertransport und ein durchdachtes Last-Mile-Konzept. Natürlich braucht es einen starken Public Transit (hvv), der zukünftig einen komplett anderen Stellenwert genießen muss im Gegensatz zur aktuellen, privat-besitzenden-Autokultur. Der ÖPNV muss als Gemeinwohl-Infrastruktur verstanden werden, die jedeR/m jederzeit einfachen, barrierefreien Zugang und damit ein Recht auf Mobilität ermöglicht. So wird Hamburg die Wende gelingen, wetten?
65% weniger Autos hatten wir eben, wartet mal, das sind bei 799.434 allein in Hamburg (!!!) zugelassenen Autos (2021) mal mindestens 7,92m² (Fläche Durchschnnittsauto 2017 -> Auto-, nicht Parkplatzfläche!) durch drei mal zwei (2/3) rund 422 Hektar mehr freie Fläche in der Stadt. Wooah, damit gewinnen wir neben der bestehenden Außenalster noch über Z-W-E-I-E-I-N-H-A-L-B mehr dazu, krass! Stünden die verschwundenen Autos Stoßstange an Stoßstange und Blech an Blech, würden sie eine Fläche von Winterhude, Mundsburg, Teilen Barmbeks, Eilbek, Hasselbrook, Teile von Hamm, Borgfelde und Hohenfelde bedecken – ein „Riesenschrottplatz“ von der Alster bis zum Horner Kreisel! Wie viele Bus-, Tramspuren und SUPERBÜTTEL man damit machen könnte….. Aber da buddeln wir in acht Jahren doch bestimmt noch an der U5 herum, da können wir gar nicht CO2 einsparen, sondern müssen (leider) erst einmal einige Tonnen oben draufsetzen.

Und dann sind da auch noch all diese Bäume! Total im Weg.
An der Alster, die Straße heißt tatsächlich so, dort also, direkt an der Außenalster, einem der schönsten Fleckchen, die Hamburg zu bieten hat, sollen auf der St. Georg Seite 86 Bäume niedergemetzelt werden, um 500 Meter Radweg anzulegen. Neben bis zu fünf Fahrstreifen plus Parkplatzstreifen für den motorisierten Verkehr, meist Individual-PKW-Verkehr, kurz MIV. Aber da kommen dann neue Klimabäumchen hin….

It’s the Infrastructure, stupid!
Verwundert müssen wir allerdings auch immer wieder feststellen, dass – wenn nicht direkter, so doch indirekter „Widerstand“ für gute Fahrradinfrastruktur auch aus völlig unerwarteter Ecke kommt, nämlich gewissen Kreisen aus Viel- und AllragsradlerInnen und teilweise auch dem adfc Hamburg.
So sehr wir verstehen können, dass schlechte bis miese Fahrradinfrastruktur ein Grund ist, die Radwegbenutzungspflicht, sollte es sie denn geben, aufheben zu lassen, so sehr sagen wir: Das ist das falsche Signal! Es ist schön, zu sehen, dass der adfc inzwischen ebenfalls erkannt hat, dass nicht Farbe auf dem Asphalt sondern sichere Premiumradwege (also breite geschützte Wege) das A und O sind, um mehr Menschen den Umstieg zu erleichtern.
Sich allerdings gleichzeitig dafür einzusetzen, fragwürdige Benutzungspflichten aufzuheben wo es sie noch gibt, ist dagegen kontraproduktiv. Stattdessen sollte die Energie genau ins Gegenteil investiert werden, nämlich in Radwege vom Feinsten. Je schlechter der Weg, desto mehr Druck sollte aufgebaut werden. Denn, das haben vorhin die CIVITAS Beispiele schön gezeigt: Wir Radfahrende haben einen Anspruch auf sichere und gute Fahrradinfrastruktur – also sollten wir sie auch einfordern.
Dass da was geht, sehen wir gerade an der Elbchaussee, wo KURS FAHRRADSTADT zweimal zur Demo aufgerufen hat. Einmal haben wir dabei die Straße zur Fahrradstraße umfunktioniert. Würde der gute Anfang mit den Copenhagen Lanes noch konsequenter verfolgt werden und die wechselnde Einbahnstraßenregelung á la Sierichstraße nicht nur über die monatelange Bauzeit, sondern für immer angewendet werden, wäre reichlich Platz für solche sicheren Traumradwege auf beiden Seiten anstelle wie jetzt nur jeweils einseitig. Der Umweltverbund wurde wieder einmal schlicht nicht an die erste Stelle gesetzt und die „Modellstadt für Klimaschutz“ nicht mitgedacht.
Nur weil Ex-Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann 1997 die allgemeine Benutzungspflicht für Radwege aufhob und Fahrräder erst damit zu „gleichberechtigten“ Fahrzeugen auf den Straßen machte – womit er der Autolobby den größtmöglichen Dienst erwies, der irgend möglich war – sollten wir das äußerst kritisch sehen. So ist es nicht verwunderlich, dass Länder, die ihren Radverkehr gut managen, oftmals weiterhin (überwiegend) mit guten Gründen die Benutzungspflicht beibehalten.
Denn nur, wo RadfahrerInnen ein Anrecht auf sichere Radwege haben, muss diese Infrastruktur auch umgesetzt und an aktuelle Gegebenheiten (z.B. deutlich mehr Radfahrende) angepasst werden. Mit welchem Argument bitte sollte das Land hinterher solche Wege bauen, wenn die Pflichten weggeklagt wurden?
Bliebe noch der Punkt, dass AlltagsradlerInnen Wahlfreiheit behalten möchten, ob sie auf der Fahrbahn radeln oder nicht.
Weil direktes Linksabbiegen so einfacher ist? Weil man hoffentlich besser gesehen wird? Weil auf den Fahrbahnen mehr Platz ist, man besser überholen kann, der Belag Leichtigkeit ermöglicht und immer geräumt ist? Damit die Langsamen in Ruhe auf den Radwegen bleiben können ohne Angst zu haben von hinten von den Schnellen umgenietet zu werden? Das sind im Wesentlichen die (verständlichen) Gründe, weshalb vor allem AlltagsradlerInnen gegen die Benutzungspflicht von Radwegen sind.
Rücksicht, um Sicherheit für schwächere weil leicht verletzbare VerkehrsteilnemerInnen zu schaffen, ist nicht umsonst das oberste Gebot im Verkehr und gilt für alle, egal ob im Auto, auf dem Rad oder zu Fuß. Manchmal heißt das aber auch, nicht als Schnellster vorne anzukommen, sondern sich einzureihen. Das sollte uns die Sache schon wert sein, wenn wir erreichen möchten, was z.B. in den Niederlanden, Dänemark und immer mehr Städten und Ländern längst Standard ist.
Bitte nicht vergessen:
Die Zauberwörter heißen gute Infrastruktur, gute Infrastruktur und gute Infrastruktur.
Und gut ist sie dann, wenn sie alle benutzen können, von „8 – 88“, von Ängstlichen bis Sicheren, von den Langsamen bis zu den Schnellen. Das gilt für alle, für ÖPNV, für FußgängerInnen und Radfahrende. Ganz genau so, wie es uns jahrzehntelang für Autos vorgemacht wurde. Der eigentliche Kampf für gerechtere, gesündere und sichere Städte ist hart und steinig und steht gerade in Deutschland und noch mehr in unserer Stadt noch immer ganz am Anfang. Aber es lohnt sich, ihn auszufechten! Lasst uns dabei alle zusammenstehen, denn die Zeit steht ganz eindeutig und unumkehrbar auf unserer Seite.
In diesem Sinne wünschen wir euch einen tollen Sommer!
Es grüßt ganz herzlich euer Team von
KURS FAHRRADSTADT
