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Eimsbüttel verliert die Fassung

Aufklärung, das bedeutet jetzt:
Ausgang des Menschen aus seinem selbst verschuldeten ökologischen Analphabetentum.
Aufklärung bedeutet:
Die Erkenntniskosten auf sich zu nehmen. Den Schrecken zuzulassen – und dann als Antrieb zu nutzen.
Der gute Vorsatz für diesen Herbst: die Fassung verlieren.“

„Wir müssen lernen, uns von Narren warnen zu lassen“ ZEIT ONLINE, 23. September 2022

Von Christine Stecker und Kai Ammer (Beitrag) und
Michael Dettmer (Die Historie der Grindel-Fahrradzone)

Das ist kein Zitat von Fridays for Future oder Extinction Rebellion. Nein, man liest dies in der renommierten Hamburger ZEIT. Wir befürchten, dass auch die ZEIT den Tiefschlaf der Politik nicht stören wird. Und verzweifeln an den unglaublichen Entscheidungen, die dem Klimaschutz keine Modellstadt bescheren, sondern einen kräftigen Nackenschlag.

Große Chancen im letzten Moment verhindert:
Hätt‘ ja gut werden können, SPD

Kanzler Scholz beschwört die globale Solidarität herauf, um den Krisen dieser Welt zu begegnen. Dafür braucht es die Grundannahme und Hoffnung, dass sich politische Parteien bei existentiellen Krisen wie der Erderwärmung auf einen Minimalkonsens einigen können.

Doch was schert eine Politikerriege auf Hamburger Bezirksebene im täglichen Klein-klein (keine Fahrradzone im Hamburger Grindel-Universitätsviertel) oder eine Landespolitik (kein Tempolimit auf Autobahnen), dass Pakistan parallel absäuft? Hier sind es ein paar in unseren Augen immer noch vollkommen blinde Politiker:innen, die die Zusammenhänge der Klimakrise einfach nicht verstehen wollen und mit seit Jahrzehnten unveränderten Argumenten kommen – dort sind es 33 Millionen Menschen, die unmittelbares Leid erfahren – ein Drittel des Landes steht unter Wasser.
https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/-/flut-in-pakistan-klimakrise/311982
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/pakistan-flut-seuchen-kinder-malaria-100.html

Bildrechte: Moniruzzaman Sazal / Climate Visuals Countdown

Das Klimaproblem ist komplex – die lokale Politik auch.

Es wird an vielen Stellen auf die Komplexität des Problems der Erderwärmung hingewiesen.
Ein schier unlösbares Problem – eine globale Herausforderung, die Anstrengungen Aller bedarf. Schon 1992 wurde in der Rio-Deklaration der Grundgedanke „Global denken, lokal handeln“ verbreitet. Eine immense Anzahl kleiner, positiver Maßnahmen führen in der Summe zu globalen Veränderungen und damit stirbt die Hoffnung wirklich zuletzt.

Doch wenn man auf der lokalen Ebene ankommt, ist das Problem der Veränderungen das schier Unlösbare. Verschiebespiele, Taktik und Hinhaltepolitik mit den stets gleichen Hinweisen auf Parkdruck, Geschäftsverkehr, Öffentlichkeitsbeteiligung sowie Finanzen macht uns eines deutlich: Es gibt keinen wirklichen Plan, keine übereinstimmende Grundhaltung, die der galoppierenden Klimaproblematik nur annähernd gerecht wird. Was global gelingen soll, scheitert am Klein-Klein auf lokalpolitischer Ebene.

Die Botschaft ist klar: Machen!
Und zwar jetzt und nicht irgendwann!

Hitzebezogene Sterblichkeit
Anzahl frühzeitiger Todesfälle aufgrund extremer Hitze
Mittelwerte für Deutschland (2014-2018) = 12076 Tote.
Das Nichtstun wird sichtbar:
Deutschland liegt als einziges Land in Europa weltweit vorne was die Zahl der Hitzetoten anbetrifft. Trauriger Rekord.
Mittelwerte für Deutschland (2014-2018) = 12076 Tote
Quelle: https://www.thelancet.com/infographics-do/countdown2020
Quelle: 2020 Report of the Lancet Countdown, for a full description of the indicator, see the 2020 report of the Lancet Countdown at lancetcountdown.org
https://www.lancetcountdown.org/data-platform/climate-change-impacts-exposures-and-vulnerability/1-1-health-and-heat/1-1-6-heat-related-mortality

Warum nur kommt die lokale Ebene nicht endlich ins Handeln und zwar zeitnah?

Zurück zum Grindelviertel:

Im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge liest man bei der SPD-Fraktion Eimsbüttel:

„In der Vergangenheit stand vor allem die Frage der Architektur im Fokus der Diskussion, ebenso wie die Zukunft des Bodenmonuments und des Bunkers auf dem Carlebach-Platz. Wir sollten nun aber auch über die Umgebung sprechen – den Stadtteil wie den Uni-Campus – in die sich ein künftiger Neubau lebendig einfügen muss.“

https://spd-fraktion-eimsbuettel.de/bornplatzsynagoge-soll-wieder-zu-einem-stueck-grindel-
werden/


Was heißt lebendig einfügen? Ja und natürlich sollte nun auch über die Umgebung gesprochen werden – eine zukünftige Synagoge benötigt mehr als andere Bauten eine Einbettung in eine sichere, friedliche und auf positive Begegnung ausgerichtete Umgebung.

Hier stand Hamburgs Bornplatz-Synagoge, hier soll wieder eine aufgebaut werden. Aber passt die Umgebung so?

Superbüttel versus Grindelviertel?

Vor mehr als einem Jahr fragte sich die SPD-Fraktion selbst noch „Kann Eimsbüttel Superbüttel?“ Sie bejahte diese Frage und legte stolz die ersten Anträge zur Umsetzung für ein lebendigeres Viertel vor. Wichtig war auch da eine Verkehrsberuhigung und mehr Raum zum Verweilen:

„Wir wollen eine spürbare Verkehrsberuhigung in Langenfelder Damm und Lappenbergsallee. Der vielbefahrene Straßenzug soll nicht länger als Abkürzung zur Autobahn genutzt werden und hier soll künftig Tempo 30 gelten. Der kleine, von der Nachbarschaft Hammonia-Platz genannte Kreuzungsbereich zur Methfesselstraße hat das Potenzial, mit wenig Aufwand zu einem neuen Quartiersplatz umgestaltet zu werden. Das wollen wir jetzt angehen.“

SPD, August 2021, https://spd-fraktion-eimsbuettel.de/kann-eimsbuettel-superbuettel-spd-

Ein gutes Jahr später fragen sich KURS FAHRRADSTADT und viele der anwohnenden Eimsbüttler:innen aus diesem Quartier – wo bleibt denn nun der Angang??

Auf Nachfrage bei der SPD haben wir Gabor Gottlieb am 10. Oktober 2022 so verstanden, man wisse gerade auch nicht so genau, was der Stand der Dinge ist. Und das obwohl die SPD genau diesen Platz doch schon vor Jahren herbeigesehnt und einen entsprechenden Antrag gestellt hatte. Der wurde nach unserem Kenntnisstand damals von der Grünen-Bezirksfraktion (!) abgelehnt. Zeit, dass jemand auf den Tisch haut und endlich den nachhaltigen Umbau von Eimsbüttel konsequent einfordert.

Bezirksamt Eimsbüttel zermürbt

Die Bezirksverwaltung im Bezirksamt ist vom ewigen Hin und Her zermürbt. Sie kann nur umsetzen, was die Politik klar vorgibt. Doch wenn von dort nur leidenschaftlich auf anderen herumgehackt wird, statt sich mit Verve für die Sache einzusetzen, kommt halt nix außer vielen Worten. Nicht besser sind die vielen Fachbehörden, die einbezogen werden müssen, sich aber nicht einig werden. Es bleibt für uns unerklärlich, wie man im Jahr 2022 immer noch notwendige Schritte negieren kann. Die letzte Hoffnung liegt nun auf dem Verkehrsentwicklungsplan (VEP) für Hamburg. https://www.hamburg.de/bvm/verkehrsentwicklungsplanung/ 

Der soll bis Jahresende verabschiedet sein und enthält dann konkrete Ziele für die Mobilitätswende. Es wundert uns nicht mehr, dass Hamburg auch beim VEP als letzte deutsche Großstadt an den Start geht. Andere Kommunen arbeiten seit Jahrzehnten ihre Entwicklungspläne ab. Das nur am Rande…

Vom Wollen zum Tun scheint ein langer Weg zu liegen. Von einer Bürger:innenbeteiligung ist nichts zu sehen oder zu hören – der Platz ist weiterhin rund 12 PKW vorbehalten statt einem Mehrfachen an Menschen kommerzfreie grüne Aufenthaltsqualität in ihrem Lebensumfeld zu bieten. Ein Platz kann dabei übrigens auch ein kleiner Park sein.

Die SPD-Fraktion Eimsbüttel äußerte sich 2021 wohl auch aufgrund des großen Medieninteresses wie folgt:

„Mit unserem Vorschlag greifen wir Ideen der Initiative Superbüttel auf. Wir wollen uns auch die Rellinger Straße und die Nebenstraßen genau anschauen: Was ist hier möglich? Wie schaffen wir in den kleinen Straßen eine weitere Verkehrsberuhigung, vielleicht sogar mit Tempo 20?“

Sehr gerne, liebe SPD, nur warum gibt es ein Jahr später immer noch nichts, was ihr uns hierzu berichten könnt?

In einem Wohnviertel kann man sich mehr Verkehrsberuhigung und gar Tempo 20 vorstellen – in einem quirligen Universitätsviertel wiederum nicht. Die Lappenbergsallee wird gesäumt von Cafés, Geschäften und ist dicht bebautes Gründerzeitviertel mit hohem Baumbestand. Auch wenn dies gut für die Verschattung und Kühlung des Quartiers ist – je mehr motorisierter Verkehr hier fährt, umso stickiger und lärmender wird es für die Menschen unter den Baumkronen. Je mehr Autos hier immer noch herumstehen dürfen, umso heißer wird es und desto mehr Hitzetode werden zu beklagen sein, ganz zu schweigen von einem Weniger an Lebensqualität für die Mehrheit. Ganz einfach eigentlich.

Es gibt Parallelen zum Grindelviertel, das jedoch wesentlich belebter ist und auch weiterhin sein wird. Es ist damit nicht nachvollziehbar, wo denn nun genau die Hürden liegen sollen.

Gesunde, schöne neue Zukunft – aber bitte nicht hier!

Die CDU-Fraktion will Eimsbüttel nachhaltig und lebenswert gestalten. So zumindest liest man als Unterzeile auf ihrer Webseite. Und rühmt sich gleichzeitig damit, die Fahrradzone im Grindel im letzten Moment verhindert zu haben.

Chapeau! So viel eindeutigen Widerspruch findet man selten auf einem Streich.

„Glücklicherweise votierte eine deutliche Mehrheit im Hauptausschuss der Bezirksversammlung Eimsbüttel am 15. September 2022 gegen den GRÜNEN-Antrag. Dort wächst langsam ein Einsehen, dass die einseitige Ausgrenzung der Autofahrer im Straßenverkehr nicht mehr so ungebremst weitergehen kann, wie in den Jahren zuvor.“

CDU Fraktion Eimsbüttel
  • Abgetrennter Fahrradstreifen in der Straße Grindelhof
  • Filmfest Hamburg: Blick durch die Leinwand zeigt parkende Autos
  • Tische und hochgestellte Stühle an Außenplätzen eines Restaurants - es regnet.
  • Bänke auf einem Platz an Born- und Dillstraße
  • "Park deinen Hintern doch mal in Bus und Bahn" steht am Parkschein-Automaten
  • Mit Autos, Campern und Bullys zugestellte Wohnstraße im Grindelhof-Quartier

Wer den Klimawandel ernst nimmt in seiner globalen Herausforderung aber auch mit konkreten vor Ort-Maßnahmen, der darf nicht länger wegschauen, dass die Anzahl der mit fossilen Antrieben ausgestatteten PKW in den nächsten Jahren mindestens halbiert werden muss. Nachhaltig und lebenswert – gleichzeitig Autofahrer nicht ausgrenzen – so wischiwaschi kann nur Politik argumentieren.

Beides geht schlichtweg nicht.

Die bittere Pille:
Sagt es doch offen heraus, dass das Festhalten am Status Quo und das Zuhören für die Belange der PKW-Besitzer:innen wichtiger sind als die Veränderungen, für die geworben werden muss.

Wer versteht da noch, welchen Kurs Eimsbüttel fährt?
Wir jedenfalls nicht.

Was ist denn nun das Problem??

Der Antrag der Grünen für eine Fahrradzone im Grindelviertel birgt wohl schon den ersten Sprengstoff – er kommt von den Grünen. Doch ein genauerer Blick zeigt, dass das Fachamt Management des öffentlichen Raums im Bezirksamt Eimsbüttel ihren Prüfauftrag im Mai 2022 erledigt hat und dabei die Fahrradzone als positive Lösung hervorging.

Hier die Präsentation als PDF herunterladen (19,8 MB)

Und damit sind alle ablehnenden Argumente eigentlich ausgehebelt: Bei der konkreten Ausgestaltung sollen die Öffentlichkeit und Geschäftsleute einbezogen werden. Lieferverkehre sind zu ordnen. Eine Fahrradzone ist per se kein Ausschluss von Autos – es wird konkret auf die weitere Befahrbarkeit für Anwohnende hingewiesen. Nachhaltig und lebenswert wird es dann, wenn Bereiche tatsächlich autofreier werden dürfen. Also doch eigentlich ganz im Sinn der CDU?

Im Antrag vom März 2021 (vor dem Bruch der Koalition) waren sich Grüne und CDU noch einig: Fahrradstraßen sollen einheitlich in Eimsbüttel verbessert werden – um weniger Konflikte für Fuß- und Radverkehr zu erzeugen. Gehwegparken war dort noch als Problem gemeinsam erkannt, ebenso dass sich Radfahrende auf der Straße wohl fühlen sollen.

„Sollten Anpassungen des ruhenden Verkehrs notwendig werden, soll dies nicht zulasten des Fußverkehrs geschehen“.

https://bv-hh.de/eimsbuettel/documents/bessere-fahrradstrassen-
fuer-weniger-konflikte-zwischen-fuss-und-radverkehr-in-nebenflaechen-36404 (Drucksache 21-1830).

Ruhender Verkehr – damit sind in der Regel geparkte Autos gemeint, nicht herumstehende Fahrräder oder Fußgänger:innen.

Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse sollen vom Bezirksamt für sämtliche Fahrradstraßen umgesetzt werden. Hurra! mag man ausrufen. ENDLICH wird der Wissenschaft Gehör verschafft und den langjährigen Erkenntnissen folgt konkrete Umsetzung. Um den Blick nicht gleich wieder einzuengen: Die Verkehrsforschung hat auch hinlänglich nachgewiesen, dass Geschäftsleuten durch verkehrsberuhigende Maßnahmen kein Schaden entsteht. Häufig ist das Gegenteil der Fall, denn flanierende und radfahrende Menschen sind entschleunigt und können viel schneller in Geschäfte hineingehen und konsumieren und verweilen. Wer das nicht glaubt, mag sich bei der Technischen Universität Hamburg im Verkehrswesen erkundigen. Und die Universität Hamburg beherbergt die Klimawissenschaften – was mag sie gegen eine Fahrradzone vorbringen?

Fahrradzone – was ist das überhaupt und was liegt näher als die geänderte Straßenverkehrsordnung zu Rate zu ziehen? Auch wenn der Bund noch längst nicht die Anpassungen vorgenommen hat, die es vor dem Hintergrund des Nachhaltigkeitsziels 11 (nachhaltige Städte), das bis 2030 erreicht sein soll braucht – immerhin hat man erkannt, dass Fahrradzonen fehlen – also der ganzheitliche Blick auf Quartiere statt nur einzelne Straßen zu betrachten. Genau das hat das Bezirksamt aufgegriffen, als es die Fahrradzone für das Grindelviertel vorschlug. Eine ganzheitliche Betrachtung, die im Detail weiter auszuarbeiten ist. Und genau für solche Lösungen gibt es enorm viel Geld vom Bund.

„Des Weiteren ist es angebracht, zunächst einmal ein schlüssiges Mobilitätskonzept für das Grindelviertel unter Berücksichtigung aller Verkehre, privat und gewerblich, sowie der Belange der Universität auszuarbeiten.“

CDU-Fraktion Eimsbüttel

so moniert die CDU in ihrer Meldung. Dabei ist das doch genau der Ansatz, der mit einer Fahrradzone wunderbar gelingen kann. Ach so, vorausgesetzt man gesteht dem ökologischeren Fuß- und Radverkehr tatsächlich mehr Rechte zu. Wird die CDU damit ein Alternativkonzept vorschlagen – als schlüssiges Mobilitätskonzept? Oder von welchem Himmel soll es jetzt zusätzlich fallen?

Am 15. September hat die CDU zusammen mit der SPD nicht nur die weiteren Schritte hin zur Fahrradzone abgelehnt, sondern indem zusätzlich erneut ein älterer CDU Antrag vom Mai 2022 wieder vorgelegt wurde, der guten Sache auch noch den KO-Schlag verpasst:

„Der Bezirksamtsleiter wird gebeten, die in der Sitzung des Kerngebietsausschusses am 2. Mai 2022 vorgestellte Projektidee einer „Fahrradzone Grindel im Bezirk Hamburg-Eimsbüttel“ nicht weiterzuverfolgen.“

https://sitzungsdienst-eimsbuettel.hamburg.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1007743

Dem stimmten neben der CDU auch AFD, FDP und wieder die SPD zu.

Wir sind fassungslos!

Wo passt eine erste Hamburger Fahrradzone besser als im Grindelhofviertel, wo Rad- und Fußverkehr überwiegt? Hier liegen Hamburgs erste Fahrradstraßen aus den 90er Jahren: Bornstraße, Heinrich-Barth-Straße und Rutschbahn – fast alle nun dringend sanierungsbedürftig.

Und sollten nicht so einfache Mobilitätswende- und Klimaschutzmaßnahmen, die sogar die eigene Verwaltung aufgrund von vorangegangenen Aufträgen durch die Bezirkspolitik vorschlägt, inzwischen Konsens unter allen demokratischen Parteien sein, um sich all den anderen, nicht minder wichtigen Themen zuwenden zu können? Wir leben inzwischen in den 20ern, nicht mehr in den 80ern des letzten Jahrtausends! Doch auch vierzig Jahre später sind Einsichten alles andere als gewiss, Innovationsfreude Fehlanzeige, Selbstverständliches nicht selbstverständlich. Mehr denn je sind radikale Veränderungen notwendig – zum Guten wohlgemerkt! Doch die Politik ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt und es haut ihnen niemand auf die Finger. Haben wir Bürger:innen das gewählt??

Danke für Nichts!

Gut vier Millionen Euro für ein nachhaltiges Quartier – ausgeschlagen von der CDU und SPD. Dank vor allem der beiden großen Volksparteien bleibt alles, wie es ist. Auch für Kinder, für die der Weg in Kitas und Schulen ein täglicher Gefahrenweg bleibt.

SPD im Blindflug

Von den rund 5,5 Millionen Euro, die das Bezirksamt für die Umgestaltung kostenmäßig schätzt, hätten voraussichtlich 75% über Fördermittel des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) eingeworben werden können. Für den verbleibenden Rest wäre eine Lösung gemeinsam mit der Landesbehörde für Mobilität und Verkehrswende absehbar. Im Superbüttel wurden und werden von Beginn an die Finanzierungsfragen in den Vordergrund gestellt, wie es aktuell in der MOPO („Nur noch hohle Worte“) wieder zu lesen war. Im Grindelhofquartier wird die Kohle dagegen in den Wind geschlagen. Will die SPD Anfang September auch noch die Umgebung der Synagoge in den Blick nehmen „mit einer möglichst offenen Sicherheitsarchitektur“ (siehe oben), die zumindest im Straßenbereich vor der geplanten Synagoge durch einladende Aufenthaltsqualität schon einmal in Angriff genommen werden könnte, will sie Ende September offenbar nichts mehr davon wissen:

„Das kleine Quartier steht
nach Einführung des Be-
wohnerparkens und der Ve-
loroute jetzt vor dem Neu-
bau der Bornplatzsynago-
ge. Wir finden es nicht richtig,
noch ein Prestige-Projekt
drüberzustülpen.“

Gabor Gottlieb, SPD Eimsbüttel in MOPO („Nur noch hohle Worte“)

Mobilitätsmäßig soll sich also nichts ändern im Grindelhofviertel und wir blicken sehnsüchtig aus der Modellstadt für den Klimaschutz in das „kleine“ Bremen nebenan: Dort wurde bereits im Sommer 2020 Deutschlands erste Fahrradzone eingeführt. Viele kleine und mittelgroße deutsche Städte folgten dem Beispiel.


Liebe Freundinnen und Freunde von KURS FAHRRADSTADT,

wie wir eben geschrieben haben, sind wir einfach nur noch fassungslos über die kläglichen Ergebnisse, die die Eimsbütteler Politik in letzter Zeit zu den Belangen Mobilitätswende, Klimaschutz und Umbau hin zu einer lebenswerten, gesunden Stadt liefert. Darüber haben wir bereits mehrfach, auch in unserem letzten Beitrag „Verkehrspolitik in Hamburg: Kleine Wunder, große Ungetüme und 1 Skandal“ berichtet. Die Versenkung der Fahrradzone am Grindel ist dabei nur die Spitze des Eisberges, die uns nun zu weiteren Aktionen im Grindelviertel anspornt. So haben wir am 27. September 2022 Mails an die Fraktionschefs von SPD und CDU gesendet mit der Bitte, uns ihr Verhalten genauer zu erklären:

Guten Tag Herr Gottlieb,

mit großer Verwunderung hörten wir, dass die SPD-Fraktion Eimsbüttel gegen den Grünen-Antrag einer Fahrradzone im Grindelviertel gestimmt hat. Diesem Antrag ging nach unserem Verständnis eine fachliche Prüfung durch das Bezirksamt Eimsbüttel voraus, das im Ergebnis die großräumigere Betrachtung in Form einer Fahrradzone ergab. Mit all den noch folgenden Detaillierungen wäre dies aus unserer Sicht ein gutes Signal für die Stadt, die sich ja vorgenommen hat unter der SPD-Führung Modellstadt für den Klimaschutz zu werden.

Uns erschließt sich nicht warum Sie gegen den Antrag gestimmt haben. Zumal Sie mit Ihren Anträgen für ein Superbüttel ja Ähnliches befürwortet haben – nämlich Verkehrsberuhigung, mehr Aufenthaltsqualität. Daher möchten wir gerne Ihre Gründe erfragen. Wir stehen kurzfristig für ein Online-Gespräch in den Abendstunden zur Verfügung oder danken für Ihre kurzfristige Rückmeldung via Mail.

Sollten es parteipolitische Gründe sein, möchten wir dringlichst an die Vernunft appellieren, dass ein nachhaltiger Stadtumbau bis 2030 nur gelingen kann, wenn so viele positive Maßnahmen wie möglich beschlossen und umgesetzt werden – egal von wem sie eingebracht werden.

In diesem Zusammenhang möchten wir auch nochmals nachfragen, wann die von Ihnen vor gut einem Jahr angekündigte Öffentlichkeitsbeteiligung für den Parnassplatz als ein Baustein des Superbüttels beginnen wird. 

Wir behalten uns vor, Teile oder diese ganze Mail auf unserer Website zu veröffentlichen. 

Vielen Dank für Ihre Rückmeldung.

Freundliche Grüße

Das KURS FAHRRADSTADT Team

Eine inhaltlich recht ähnliche Mail haben die Herren Rüdiger Kuhn und Sascha Geraschke von der CDU-Eimsbüttel-Fraktion zeitgleich erhalten.

Von der CDU-Fraktion haben wir leider keinerlei Rückmeldungen erhalten, mit der SPD konnten wir uns am 10.10.2022 in einem Online-Meeting austauschen. Vielen Dank an den Fraktionschef Gabor Gottlieb sowie Moritz Altner, sich die Zeit mit uns genommen zu haben.

Das rund einstündige Gespräch war in guter Grundstimmung. Doch im Nachgang sind wir fast genauso schlau wie vorher. Ausgerechnet die noch längst nicht gebaute Bornplatz-Synagoge, für die erst im kommenden Jahr ein Architekturwettbewerb das Ergebnis für einen finalen Entwurf ermitteln soll, muss herhalten für die ablehnende Haltung der SPD. Man mache sich Sorgen, dass es den Menschen im Quartier zu viel wird, wenn nun neben den irgendwann kommenden Baustellen für die neue Synagoge samt den vermutlich damit einhergehenden Beeinträchtigungen für den Verkehr „auch noch die Fahrradzone on top käme“. Eine Fahrradzone hätte vermutlich weit vor einem Synagogen-Baubeginn umgesetzt werden können. Dann könnte man sich später eher Gedanken darüber machen, dort vorbeifahrende und platzsparende Fahrräder anstelle Autos im Baubereich umzuleiten.

Die beiden SPD-Herren wiesen zudem darauf hin, „…dass schon viel gemacht worden sei im Quartier und es werde sicher noch vieles gemacht“. Allerdings wären die bestehenden Fahrradstraßen „inzwischen relativ in die Jahre gekommen, weswegen da etwas gemacht werden sollte“.

Keine Ahnung

Wieder sind die Geschäftsleute (Grindel e.V.) als Bremser benannt.
Auf unsere Nachfragen, ob man denn wisse, dass es inzwischen hinlänglich bewiesen ist, dass autoreduzierende Maßnahmen im Quartier die Geschäfte eher stärken als schwächen würden, war die Antwort, dass man sich nicht so genau auskenne mit den positiven Effekten, die derartige Maßnahmen in aller Regel für den Handel und Betriebe nach sich ziehen. Wir erwarten nicht zwingend, dass man das weiß. Dafür wurden in besagter Drucksache ja auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse gewünscht, die Orientierung bieten sollen. Am Ende des Tages jedoch keinen Blick darauf zu werfen, sondern das immer gleiche Lamento der (ebenfalls uninformierten) Geschäftsleute wiederzukauen macht einfach keinen Spaß mehr.
Was alles schief läuft, wenn man es allen recht machen will und doch nicht genau hinhört, kann man an der Osterstraße sehen – die Lieferverkehre sind ungeordnet, Mittelstreifen aus Verzweiflung daher vollgestellt, der Durchgangsverkehr scheint ungebremst – man sitzt weiterhin im Abgasgestank beim Tässchen Kaffee. Ein Graus für alle.

„Anderes Mobilitätsverhalten“ im fahrradaffinen Grindelhofviertel?

Noch verwunderlicher: Das Mobilitätsverhalten der Anwohnenden sei ein anderes als das, was auf den Straßen mit vielen Radfahrer- und Fußänger:innen zu sehen ist. Woher diese Erkenntnis kommt blieb nebulös, denn eine Erhebung dazu gibt es nicht. Und überhaupt: Nicht mehr die tatsächlichen Verkehrsteilnehmer:innen entscheiden also über das Aussehen der Straßen, sondern die Anwohnenden (hier im SPD Sinne ‚Parkplätze werden gebraucht‘)! Mal kurz auf die Magistralen übertragen hätte diese Logik geradezu revolutionäre Züge: Dort sehnen sich die Anwohnenden ruhigere und leisere Straßen herbei.

Wir bleiben verwirrt und enttäuscht. Es bleibt der Eindruck, dass hier einfach aus „taktischen“ Gründen gegen Klimaschutz und Fahrradzone gestimmt und damit wertvolle Arbeit der Verwaltung mit einem Strich vom Tisch gefegt wurde.


Zur Vertiefung und zum besseren Verständnis des  Zusammenspiels verschiedener Anträge bis zur aktuellen Beerdigung der Fahrradzone haben wir euch zudem eine Historie zusammengetragen. Ihr findet sie gleich weiter unten.

Wir werden eine solche Politik nicht einfach so hinnehmen!
Seid euch sicher – wir mischen uns ein!

KURS FAHRRADSTADT plant bereits Aktionen im Grindelviertel.

Es grüßt ein schwer enttäuschtes KFHH-Team.

Von der Geburt bis zum Untergang:
Die Fahrradzone im Grindel-Quartier

Die GRÜNEN möchten im Grindelviertel (genauer: dem Viereck Grindelallee, Haller Straße, Rothenbaumchaussee, Moorweide) eine „Fahrradzone“ einrichten. Alle anderen Parteien lehnen das ab.
Da ist den GRÜNEN der Kragen geplatzt. Sie haben in einer Presseerklärung darüber informiert, wie sehr offizielles, aber im Grunde genommen unverbindliches, Auftreten und tatsächliche Politik bei CDU/SPD auseinanderklaffen. Was ist dran an der These „Wenn’s konkrete Vorschläge gibt, wird gemauert“?

Die Historie:

  1. Am 27.1.2022 beschließt die BV gegen die Stimmen von FDP und AfD bei Enthaltung der CDU: „Superbüttel im Kontext des bezirklichen Planungsprogramms: Verkehrsplanung für das Eimsbütteler Kerngebiet koordinieren und systematisch abarbeiten“ (Drs. 21-2583 und 21-2604).
    Darin wir die Verwaltung beauftragt, für verschiedene ausgewählte Verkehrsprojekte eine Resourcenplanung (Personal, Finanzierung, Termine) vorzunehmen. Die beauftragten Prüfungen „… [können] dabei um weitere Projekte ergänzt werden, die (…) aus Sicht der Verwaltung ein besonderes Gewicht für die kurz- und mittelfristigen Planung haben.“ Konkret Prüfpunkte sind:
    a) O.g. Planungszahlen liefern
    b) Synergieeffekte zu hamburgweiten Programmen identifizieren und bewerten
    c) Unterstützung durch zuständige Fachbehörden prüfen
    d) Sichtung passender Förderprogramme auf EU- und Bundesebene
    Im Anschluss soll mit diesen Unterlagen im KGA eine Priorisierung der Maßnahmen erfolgen. Zwei davon werden relativ schnell „durchgewinkt“: Diagonalsperre Rellinger Straße (vor der Grundschule) Gestaltung des Parnassplatzes (Methfesselstr./Langenfelder Damm)
  1. Als ein weiteres Ergebnis präsentiert die Verwaltung am 2.5.2022 eine „Projektskizze Fahrradzone Grindel“.
    Das Dezernat „MR“ hat auch hier vorbildich geliefert. Sowohl die aktuelle Situation, als auch Bedarfe, Gegenstimmen usw. sind ausführlich dokumentiert; alle genannten Prüfpunkte wurden abgearbeitet. Das alles stets mit Querverweisen auf die aktuelle Beschlusslage der BV.
    Kurz: Die Autoren haben nach knappen vier Monaten umfangreicher Arbeit eine gut nachvollziehbare Präsentation geliefert.
    Ihr Resumée: Es müsse geprüft werden, eine Fahrradzone im Grindelviertel einzurichten. Ein wichtiger Satz in der Präsentation: „Gute Basis zur Begünstigung einer Fahrradzone ist bereits gelegt.“ Konkretes Prüfen von:
    • Einrichtung von Durchfahrts- und Diagonalsperren
    • Ausweitung autofreier Plätze (wie z.B. in der Bornstraße bereits geschehen)
    • Schaffung von „Einengungen“, damit Fußgänger gefahrloser die Fahrbahn queren
      können.
    • Bodenentsiegelung, Baumpflanzungen
    • Steigerung der Aufenthaltsqualität durch entsprechende Gestaltung (z.B. Sitzmöglichkeiten)
    • „Planung soll durch eine intensive Beteiligung der Öffentlichkeit (…) begleitet werden.“

      All diese Dinge werden sowohl mit Photos vor Ort als auch von bereits umgesetzen Maßnahmen
      belegt (Thadenstraße, Roonstraße, Grädener Straße…)
      Kosten: 5,5 Mio Euro
      Zeit: Ausschreibung frühestens Q3/2022
      Baubeginn: 2024
      Abschluss: 2025
      Finanzierung:75% Bund (über BMVD-Topf „innovative Modellvorhaben“).
  2. Das geht der CDU zu weit. Sie bringt einen entsprechenden Antrag ein (Drs. 21-3136). Daraus zitiert: „Der Bezirksamtsleiter wird gebeten, die in der Sitzung des KGA am 2.5.2022 vorgestellte Projektidee einer „Fahrradzone Grindel im Bezirk Hamburg-Eimsbüttel“ nicht weiterzuverfolgen.“
    Tenor: Parkplätze streichen darf nicht passieren, Parkdruck darf nicht steigen. Eine „differenzierte und intensive Beteiligung der Öffentlichkeit“ müsse her, danach müsse ausgewertet werden und erst dann könne man sich an irgendwelche Planungen machen. Im Antrag wird damit indirekt unterstellt, eine Öffentlichkeitsbeteiligung sei bisher gar nicht vorgesehen. Der Antrag steht dreimal(!) auf der Tagesordnung des Hauptausschusses und wird folglich auch diskutiert. Das letzte Mal am 15.9.2022.
    Kuriosität am Rande: Am 17.5.2021 hatte der KGA einem gemeinsamen Antrag von CDU und GRÜNEN zugestimmt (Drs. 21-1830). Der Bezirk wird darin aufgefordert „…für sämtliche Fahrradstraßen im Bezirk Eimsbüttel die aktuellen Erkenntnisse der Wissenschaft umzusetzen“. Im Antrag wird auf konkrete Mängel u.a. im Grindelviertel hingewiesen und z.B. auf breitere Gehwege gepocht.
  3. Nachdem die Diskussion in den Ausschüssen allem Anschein nach zu nichts führt, stellen die GRÜNEN schließlich einen Alternativantrag, der die Vorarbeiten der Bezirksverwaltung explizit aufgreift und die dortige Planung umgesetzt sehen möchte (Drs. 21-3149). Dieser Antrag wird nun von allen anderen Fraktionen mit Ausnahme der LINKE abgelehnt!

4 Antworten auf „Eimsbüttel verliert die Fassung“

Uns Bürgern wird immer Politikverdrossenheit vorgeworfen. Dabei sind wir bei solchen Entscheidungen absolut parteienverdrossen! Macht endlich euren Job, Politikerinnen und Politiker – das sind wir alle den nächsten Generationen schuldig und dafür wurde in Eimsbüttel mehrheitlich grün gewählt.

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