In Hamburg Eimsbüttel hat es eine Revolution in der Bezirkspolitik gegeben. Vor zwei Tagen, am Donnerstag, den 26. September 2019, hat in Eimsbüttel zunächst kaum merkbar die Zeitenwende begonnen. An diesem Tag haben Die Grünen Eimsbüttel und die CDU Eimsbüttel ihren Koalitionsvertrag unterschrieben. An diesem Tag wurde festgemacht, dass alles Handeln im Bezirk zukünftig daraufhin überprüft wird, ob die jeweils geplanten Vorhaben mit den „17 Zielen zur nachhaltigen Entwicklung“ der Vereinten Nationen im Einklang stehen. Vor allem in den Bereichen Verkehr, Mobilität und Stadtentwicklung setzen die neuen Koalitionäre ihre in der Öffentlichkeit wohl am meisten sichtbaren Schwerpunkte der Zusammenarbeit in den kommenden fünf Jahren. Es ist eine wahre Freude, den Koalitionsvertrag zu lesen! Er beinhaltet ein Feuerwerk an guten Ideen, von denen Eimsbüttel und sicher die ganze Stadt in Zukunft mehr als profitieren werden. Auch wenn diese Ideen als radikal erscheinen, sind sie schlicht geboten, wenn die Menschen es schaffen wollen, dafür zu sorgen, dass sich das Klima nicht um mehr als 2°C erwärmt. Das gilt überall – wie für jeden Einzelnen, so auch für das Handeln von Regierungen und Verwaltungen von Ländern und Kommunen, ganz gleich ob global oder lokal. Eimsbüttel hat sich nun entschieden, den ihm möglichen Beitrag hierzu leisten zu wollen. KURS FAHRRADSTADT gratuliert den Grünen und der CDU Eimsbüttel ganz herzlich!
Eine fantastische Basis ist gelegt; nun kommt es darauf an, die beabsichtigten Vorhaben in den kommenden Jahren in die Realität zu übertragen. Vorgenommen haben sich die neuen Partner vieles, wir können nicht alles aufzählen, dafür lest bitte selbst den Koalitionsvertrag. Im Verkehrsbereich soll sich am meisten ändern. Vieles von dem, wofür sich KURS FAHRRADSTADT einsetzt, scheint nun endlich umgesetzt zu werden:
Der Umweltverbund, also der öffentliche Nahverkehr, Fuß- und Radverkehr soll in Zukunft überall im Bezirk an erster Stelle stehen – noch vor den Bedürfnissen des motorisierten Individualverkehrs.
Radverkehr soll massiv weiter ausgebaut werden, neue Fahrradstraßen entstehen, der Durchgangsverkehr aus „untergeordneten Bezirksstraßen“ grundsätzlich ausgeschlossen werden. Dazu werden neue Sackgassen eingerichtet, Wendehammer gebaut und Diagonalsperren geplant. Ob Grindelhof, Johnsallee, ob im Bellalliance-Viertel oder der Methfesselstraße, überall stehen Veränderungen an. Selbst die recht neu umgebaute Osterstraße soll erneut, wenn auch mit zunächst einfachen Mitteln, angefasst werden; hinterher soll auch dem letzten Autofahrenden klar sein, dass sie sich hinter den Radfahrenden „anzustellen“ haben und nicht mehr, wie heute noch, diese einfach überholen können.
Pro Stadtteil soll es mindestens eine autofreie Straße sowie Spielstraßen geben, letztere können auch temporär, z.B. an Wochenenden bzw. in den Ferien zu solchen ausgewiesen werden. Auch möchte man erreichen, dass sich die Menschen wieder vermehrt auf ihren Straßen begegnen und sich dort wohlfühlen können, indem Straßenparks gebaut und „Parklets“, also Stadtmöblierungen, z.B. mit Sitzgelegenheiten, auf bisherigen Parkplätzen eingerichtet werden.
Tempo 30 soll überall im Bezirk gelten mit Ausnahme solcher überbezirklichen Straßen wie z.B. der Kieler Straße, die dafür jedoch pro Fahrtrichtung eine von ihren drei Spuren abgeben soll, um auch hier Bus- und Radverkehr zu fördern.
Fußwege sollen wieder frei und bequem begehbar werden, Falschparkende konsequent abgeschleppt und Bewohnerparken in allen Quartieren eingeführt werden, die heute chronisch überparkt sind. Des weiteren wird die Ausweitung des Parkraumanagements angestrebt und sollen Gehwege auch von abgestellten Fahrrädern befreit werden, indem für sie auf bisherigen KFZ Parkplätzen neue Abstellmöglichkeiten geschaffen werden.
Baumschutz bekommt einen hohen Stellenwert, ebenso wie der Erhalt und Zubau von Grünflächen. Lokaler Handel soll gestärkt, Stadtteilzentren, z.B. in Eidelstedt und Niendorf, attraktiver gestaltet und neue Buslinien in Fahrt gebracht werden. All dies ist nur ein kleiner Teil all der Vorhaben, auf die sich Grüne und CDU in Eimsbüttel nun geeinigt haben. Für den gesamten Überblick lest bitte den Koalitionsvertrag.
Liebe Grüne, liebe CDU Eimsbüttel,
Veränderungen, insbesondere viele der geplanten Maßnahmen, werden auf Widerstand stoßen. Fünf Jahre können ein lange, leider aber auch eine sehr kurze Zeit sein. Ihnen bleiben nur fünf Jahre – innerhalb dieser Zeit muss es gelingen, diesen Wandel nicht nur anzuschieben, sondern ebenso muss der Bevölkerung lange genug Zeit gegeben werden, sich an die neue Situation gewöhnen zu können und diese sicher später auch schätzen zu wissen. Dies ist eine international inzwischen oft gelernte Erfahrung. Experten, wie z.B. der Däne Jan Gehl, plädieren darum dafür, innerhalb nur einer Legislaturperiode einen größtmöglichen Wurf zu machen. Denn überall, wo solche Veränderungen eingeleitet werden, überwiegen erfahrungsgemäß letztendlich die positiven Effekte! Fünf Jahre aber auch, die das Potential haben, dass Sie krachend scheitern, wenn die Zeit nicht genutzt wird, um einen wesentlichen Teil der Vorhaben möglichst sehr schnell und überzeugend umzusetzen.
Wir freuen uns, wenn Bürgerbeteiligung einen hohen Stellenwert bekommen soll, warnen Sie aber davor, langwierige (Prüf-) Verfahren zu starten, in denen das „Ob“ überhaupt noch diskutiert wird. Nutzen Sie Bürgerbeteiligung bitte für das „Wie“, also kommen z.B. die Parklets hier oder dort hin, soll das neue Quartierszentrum so oder so aussehen, der Park seinen Zugang an alter Stelle behalten oder einen neuen bekommen und was soll sich in ihnen verändern? Diskutieren Sie bitte nicht, wo und ob Parkplätze wegfallen, ob Durchfahrten gesperrt und Fahrradstraßen eingerichtet werden. Vor allem durch die 37%, die Eimsbüttels Bevölkerung bei der letzten Wahl allein den Grünen gegeben haben, besitzen Sie bereits den klaren Handlungsauftrag, diese Dinge nun auch umzusetzen! Mit der außerordentlich breiten Bürgerbeteiligung „Hamburg besser machen“ ist bereits klar ersichtlich geworden, dass die Themen „Radverkehr stärken“ und „Autofreie Innenstadt bzw. Quartiere“ mit den Plätzen 1 und 2 von 9 ganz oben auf der Wunschliste der Hamburgerinnen und Hamburger stehen. Den „Ergebnisbericht“, der den beiden BürgermeisterInnen und der Bürgerschaftspräsidentin bereits am 11. Juni 2019 übergeben worden ist, können Sie hier herunterladen.
Nutzen Sie verstärkt die Absicht, Versuche zu starten, die sich hinterher möglichst verstetigen sollen. Machen Sie bitte in „Think Big“, nicht in Kleinklein!
Beispielhaft sei hier die Parkplatzsituation genannt. Um im Kerngebiet Fußwege wieder freier zu bekommen, werden Sie oftmals nicht umhin kommen, Schrägparkplätze in Längsparkplätze umzuwandeln. Tun Sie das bitte beherzt, auf einem Schlag und stellen Sie sicher, dass dies dann überall, wo es notwendig ist, schnell und vor allem gleich gehandhabt und konsequent durchgegriffen wird. Niemand darf sich ungerecht behandelt fühlen nach dem Motto „…aber die da dürfen immer noch so parken“. Gleiches gilt für die Bewirtschaftung von Parkraum.
Das selbe sollte für die Einrichtung von Fahrradinfrastruktur gelten. Eine Protected Bikeline auf der Edmund-Siemers-Allee, Beim Schlump, der Hallerstraße und Rothenbaumchaussee einzurichten, sollte überall zeitgleich und schnell passieren, es genügt, zunächst auf Baustellentrennelemente oder ähnliches zurückzugreifen. Währenddessen starten Sie Beteiligungsprozesse, um übrige Detailfragen der konkreten Ausgestaltung zu erarbeiten. In Berlin werden solche Protected Bikelanes inzwischen bereits eingerichtet.
Schieben Sie bitte auf keinen Fall die StVO vor, die angeblich vieles nicht möglich machen soll, weshalb Ihre Vorhaben womöglich letztlich doch nicht umgesetzt werden könnten, sondern definieren Sie den Straßenraum bzw. die Straßen (z.B. Anzahl der Fahrspuren oder die Fahrbahnbreite), auf dem die „Leichtigkeit des (KFZ) Verkehrs“ weiterhin geboten bleibt, schlicht neu!
Wir schreiben Ihnen dies, weil wir uns nichts mehr wünschen, als dass Sie Erfolg haben werden! Schauen Sie darum mal nach Bogotá, dort hat Bürgermeister Peñalosa 1999 begonnen, überhaupt erst Fahrradinfrastruktur auf die Straßen zu bekommen – um bis 2001 sagenhafte 300 Km Bikelanes zu implementieren! Bedenken Sie bitte auch die symbolische Wirkung, die eine solch gut gemachte Fahrradinfrastruktur entfaltet – auch auf die Autofahrenden!
Lernen lässt sich sicher auch vom konsequenten Parkraummanagement in Helsinki. Es gilt in der gesamten Innenstadt und im übrigen Stadtbereich in allen Gebieten, die zur Urbanisierungszone gehören. Auf Hamburg übertragen hieße es, eine solche Zone in etwa zwischen Ring 2 und Ring 3 bis zum Zentrum hin einzurichten. Weite Teile Eimsbüttels lägen dann in einem solchen Bereich.
Helsinki ist nach New York übrigens die zweite Stadt weltweit und die erste in Europa, die sich an den „Sustainable Development Goals“ (SDG) misst – entsprechend ambitioniert daher der „From Agenda to Action“-Plan, mit dem die finnische Metropole nichts mehr anstrebt, als die „The most Functional City in the World“ werden. Auch hier kann man sich sicher gut inspirieren lassen:
https://www.hel.fi/kanslia/sustainable-development/
Oder, schauen Sie nach Eimsbüttel selbst:
Gerade am vergangenen Montag sind wir von KURS FAHRRADSTADT auf die Edmund-Siemers-Allee gegangen, um dort für eine halbe Stunde eine XXL-Bikelane einzurichten. Für uns hat es 15 Minuten gedauert, hinterher konnten Radfahrende eine erstaunlich gute, schnelle und sichere Fahrt in die City genießen. Mehr Stau als sonst konnten weder wir noch die Polizei vermelden und das, obwohl wir den gesamten rechten Fahrstreifen abgetrennt hatten! Während zwei Stunden, die wir insgesamt vor Ort waren, haben wir beinahe 1.400 Radfahrende gezählt, die Richtung Innenstadt radelten. Das sind bereits beeindruckende Zahlen, die für sich sprechen.

Ganz aktuell böte sich auch noch ein Blick rund um die Apostelkirche an. Seit Wochen wird im Langenfelder Damm gebaut, der daraufhin ab der Müggenkampstraße in beide Richtungen voll gesperrt ist. Seitdem ist es deutlich ruhiger und vor allem für die zahlreichen Kinder im Stadtteil um ein vielfaches sicherer geworden, z.B. Ampeln an der Methfesselstraße und Apostelkirche zu überqueren. All das – und darum steht es hier – natürlich ohne dass auch nur ein Auto weniger in den Straßen ringsum fährt oder parkt; die Anwohnenden erreichen ihr Zuhause ganz offensichtlich auch ohne die Durchfahrt im Langenfelder Damm ganz wunderbar.
Also bitte haben Sie auch in der kommenden Zeit Mut, all diese Vorhaben in die Tat umzusetzen, lassen Sie sich nicht beirren, sondern freuen Sie sich satt dessen darauf, bald in den exklusiven Club derer zu gehören, die die Zeichen der Zeit verstanden haben und konkrete Veränderungen zum Guten bewirken können. Freuen Sie darauf, in Hamburg mit großen Schritten voranzugehen und Vorzeige-Bezirk zu werden.
Und – dies ist vielleicht das Wichtigste:
„Städte sind in erster Linie gemeint, wenn es um die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele der UN geht. Sie verursachen 70% der Treibhausgase und es sind die Cities, die die Power haben, Ziele selbst dann umzusetzen, wenn Regierungen bremsen.“
Das schreiben der Ex Bürgermeister von Quito, Ecuador und ein Senior Fellow aus dem Chicago Council on Global Affairs, lesen Sie hier, wieso sie so argumentieren. Bezirke in Millionenstädten wie Hamburg zählen selbstverständlich dazu.
Toll, dass Eimsbüttel in Hamburg der erste ist!
Es wünscht viel Erfolg und grüßt das Team KURS FAHRRADSTADT.
3 Antworten auf „„Seventeen #SDG’s Zone“ Eimsbüttel“
Vielen Dank für diesen vielseitigen Kommentar und die Reflexionen und vielen guten Ideen zur Umsetzung der Ziele des Koalitionsvertrags, die es genau auf den Punkt bringen. Das ganze sollte möglichst schnell und effektiv umgesetzt werden. So dass die Eimsbüttler die erste positive Effekte dieser wirklich großartigen Reformen, die hier angestrebt werden schon sehr bald erleben können. Sich Fussgänger und Radfahrer endlich wieder entspannt und sicher im öffentlichen Raum aufhalten können. Und das ganze nicht an kleinkarierten Parkplatzdiskussionen und Aufregung über Baustellen vorzeitig zerrieben wird. Es ist eine wahnsinnige Chance für unseren Bezirk,aber auch eine riesige Herausforderung für Grüne und CDU. Und ich hoffe Eimsbüttel können ganz im Sinne Jan Gehls schon sehr bald zu einen Stadtteil für Menschen werden.
Hallo Katharina,
das haben wir gerne gemacht! Weil wir von KURS FAHRRADSTADT alles dazu geben möchten, dass hier endlich mal twwas passiert in dieser Hinsicht. Nun bietet sich diese womöglich in nächster Zeit einmalige Chance zu zeigen, dass das alles kein Hexenwerk ist, sondern in großen Teilen sehr wohl ganz genau so gemacht werden kann, wie es im neuen Koalitionsvertrag auch aufgenommen wurde.
Es ist nicht nur eine wahnsinnige Chance für den Bezirk, sondern auch für die Grünen und – wenn man es ganz genau nimmt – vor allem sogar für die CDU, die hier durch das Mitgestalten im Bezirk den Beweis erbringen kann, dass sich Vernunft, Gemeinwohl und Wirtschaft nicht ausschließen, sondern vor allem dann stark sind, wenn sie zusammen gedacht und gehandelt werden!
Man schaue nur mal nach Sevilla: Innerhalb einer Legislaturperiode (Genauer gesagt innerhalb von 18 Monaten!) wurde die Stadt vor einigen Jahren von Null in eine Vorzeige-Fahrradstadt verwandelt. Auch hier ging es strikt um das Wie, nicht das Ob. Wie die Verwandlung gelang, kann man z.B. hier lesen https://www.monda-magazin.de/leben/sevilla-in-lichtgeschwindigkeit-zur-fahrradstadt oder das Video hier anschauen – sehr sympathisch! http://itstartedwithafight.de/2015/04/08/fahrradstadt-sevilla/
Besonders beeindruckend: Es wurden nur 32 Mio Euro für 80 km Fahrradinfrastruktur benötigt. Mittlerweile gibt es mindestens 140 km für den Veloverkehr und das ist ein echter Standortvorteil geworden: https://www.visitasevilla.es/de/history/eine-fahrradfreundliche-stadt. Der Bezirk Eimsbüttel hat nicht einmal halb so viele Einwohner wie Sevilla. Da geht also was liebe Koalition! Ich freue mich darauf!!