Nun ist es angekommen in der Mitte der Gesellschaft: Das Thema Klimawandel. Und mit diesem Thema rückt vor allem der Bereich immer weiter in den Fokus, der bisher sträflich vernachlässigt wurde. Dieser Bereich hat nicht nur enormes Potenzial, einen weiteren großen Schritt zum Erreichen der Klimaschutz-Ziele zu tun, sondern hat durchaus das Zeug, die Gewohnheiten unserer Gesellschaft, wie wir sie bisher kannten, komplett über den Haufen zu fegen. Gemeint ist die Verkehrswende.
Dank der weltweiten Schulstreik-Bewegung, dank der Tatsache, dass immer mehr Menschen auch hierzulande längst erkannt haben, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann, dank des aktuellen Höhenflugs der Grünen, dank solchen Leuten wie dem Youtuber Rezo, der gerade in einem bereits über 8 millionenfach geklickten „CDU Zerstörvideo“ über den ökologischen Selbstmord dieser und anderer Parteien herzieht sowie der Wissenschaft, die sich immer deutlicher und auch schon lange mit Lösungen zu Wort meldet, kann es sich die Politik nicht mehr lange erlauben, diesem Thema aus dem Weg zu gehen. Das ist gut so.
Leider gibt es aber vor allem in Hamburg, der Stadt, die sich schon immer für etwas Besonderes hielt, der täglich staugeplagten Stadt, der es nicht zu peinlich ist, bald schon den Internationalen Weltverkehrskongress ITS 2021 auszurichten, noch immer Leute in der Politik, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben und dringend Nachhilfe brauchen. Einer von ihnen ist der Eimsbütteler Bezirks-SPD Fraktionsvorsitzende Rüdiger Rust.
Nachdem eine Initiative mit wissenschaftlicher Begleitung der TU Hamburg Harburg das Rathausquartier ab Juni für drei Monate autofrei machen will (das will sie immer noch, aber es scheint sich – welch Wunder – zu verzögern) und der Nachbarbezirk Altona mit gutem Beispiel und sogar mit den Stimmen der CDU voran geht und ab September für sechs Monate in mehreren Straßen im Kern von Ottensen die Autos verbannt, wollen Eimsbüttels Grüne nicht tatenlos nur zusehen müssen und brachten daher Anfang Mai in einem Antrag in der Eimsbütteler Bezirksversammlung das „Pilotprojekt Straßenpark“ ein. Auch hier geht es darum, Autos aus bestimmten Straßen(abschnitten) fernzuhalten, um öffentlichen Raum wieder allen zugänglich zu machen. Parkplätze werden dabei wegfallen, anders ginge es auch gar nicht. So oder so, es ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, doch das scheint besagter Rüdiger Rust ganz anders zu sehen: „Parkplätze sind wichtig, der Druck nimmt zu. Niemand darf verdrängt werden. Das muss genau geprüft werden.“ Und Rust ist da leider nicht alleine. Auch Parteikollege Moritz Altner scheint es schwer zu fallen, sich überhaupt in Frage kommende Straßen in seinem doch recht großen und dicht besiedelten Bezirk vorstellen zu können: “Falls es überhaupt geeignete Straßen für eine solche Idee in Eimsbüttel gibt, werden wir nach Abschluss der Prüfung diskutieren, ob und wie die Idee der Grünen von uns unterstützt werden kann” . Wow, SPD Eimsbüttel, wir hätten nie gedacht, dass es sich die Partei so dermaßen einfach macht, sich selbst ins verkehrs-, flächengerechtigkeits- und klimapolitische Abseits zu katapultieren. Und das ausgerechnet wenige Tage, bevor EU Parlament und die Bezirksparlamente neu gewählt werden. Chapeau!
Was soll denn da eigentlich geprüft werden? Soll geprüft werden, an welcher Ecke betroffene Bürger am wenigsten auf die Barrikaden gehen? Diese Ecke werden Sie niemals finden, da können Sie lange prüfen. Oder wollen Sie monatelang jede Straße unter Beobachtung stellen? Sehen, wo die Leute ihre Autos abstellen, auf Fuß- und Radwegen, in Kreuzungsbereichen, Rettungswegeinfahrten, auf Schulwegen oder vielleicht sogar in Grünanlagen, genauer, im Straßenbegleitgrün, sofern davon überhaupt noch etwas übrig geblieben ist? Unser Tipp: Auch das brauchen Sie nicht zu prüfen. Wir – und sicher auch sehr viele andere geplagte Eimsbütteler Bürgerinnen und Bürger – haben das teilweise schon jahrelang dokumentiert. So lange, dass wir es vor lauter Frustration ob der Aussicht, dass „sich ja eh nichts ändert“, längst wieder aufgegeben haben.
„Niemand darf verdrängt werden“
Rüdiger Rust (SPD Eimsbüttel Bezirksfraktionsvorsitzender)
Lieber Herr Rust, im Kerngebiet Eimsbüttel besitzt die Mehrheit der Bewohnenden schon längst kein Auto mehr. Meinen Sie, die fühlen sich überhaupt noch angesprochen mit „verdrängt werden“?
Schauen wir uns lieber mal einige Fakten an: Die Autozahlen in Hamburg steigen und es kommen weiter wieder mehr Kinder und Radfahrende bei Unfällen zu Schaden. Das ist eindeutig ein Zeichen dafür, dass etwas grundfalsch läuft in dieser Stadt. Dass es voller auf den Straßen wird ist das eine. Das andere sind zu einem Großteil sicherlich die KFZ Lenkenden, die gar nicht mehr mitbekommen und wahrnehmen, dass sie sich in einem Raum bewegen (wenn sie sich denn überhaupt bewegen), der gerade Kindern so ziemlich alles nimmt, was diese für eine gute Entwicklung brauchen. Zehnmal so viel Parkplatzfläche gibt es z.B. in Berlin statt für die Hauptstadtkinder Spielplätze. Aus Hamburg haben wir leider keine Zahlen dazu, auch aus Berlin gibt es keine offiziellen Zahlen dazu, aber die Agentur für Clevere Städte hat bereits 2014 ein Kooperationsprojekt mit Frau. Prof. Dr. Ines Carstensen von der Best-Sabel-Hochschule durchgeführt, um diesen Zahlen wissenschaftlich auf den Grund zu gehen. Nun, Berlin und Hamburg sind nicht ganz gleich groß, aber beide Städte fühlen sich in dieser Beziehung recht ähnlich an. Dank in Berlin oftmals recht breiter Straßen und somit auch breiteren Fußwegen dürften die Zahlen für Hamburg vergleichsweise noch mieser sein. Und, noch dies kurz vorweg – pro 1000 Einwohner kommen in Hamburg aktuell 434 PKW, in Berlin sind es dagegen „nur“ 335. Aber, kommen wir nun zu besagten Berliner Ergebnissen: Stolze 19%, fast ein fünftel aller Verkehrsflächen, ist dort allein parkenden Fahrzeugen vorbehalten Und die parken bekanntlich ganz schön lange: 23 Stunden am Tag im Schnitt. Insgesamt werden 58% aller Verkehrsflächen vom Auto, fahrend und stehend, belegt. Dabei werden nur noch ein Drittel aller Wege in der Hauptstadt mit Autos zurückgelegt. Nur 3% bleiben z.B. den Berliner Radfahrenden übrig.
Herr Rust und Herr Altner, nun noch einmal die Frage von vorhin: Was möchten Sie denn da gerne so genau prüfen noch? Geben Sie uns bitte mal einen Hinweis!
Machen Sie die Osterstraße zum „Straßenpark“, sie schreit geradezu danach! Zahlen, Daten, Fakten und Ideen dazu finden Sie alles hier auf „Osterstraße autofrei!“ Ganz besonders ans Herz legen möchten wir Ihnen und allen anderen Interessierten zudem die Lektüre des Beitrags „Alles Glück liegt auf der Fahrbahn“ (Februar 2014), ebenfalls dort erschienen. Einmal lesen und hinterher die Stadt mit anderen Augen sehen! Richten Sie zudem im Umfeld von mindestens ca. 100 Metern vor allen Eimsbütteler Schulen solche Straßenparks ein. Nicht prüfen (oder wenn, dann nur ganz kurz!), sondern einfach mal Hände hoch für diese Projekte! Denn diese Kleinigkeiten sind allesamt Pillepalle gegen all das, was es sonst noch braucht, um dem Wandel auf Straßen und im Raum den nötigen Anstupps zu geben. Das wollen wir doch eigentlich alle, Sie auch, oder etwa nicht?!
„Viele KFZ müssen verdrängt werden!“
(Kai Ammer, KURS FAHRRADSTADT)
Nichts ist so effektiv, Autos in den Städten zu verbannen, wie das Einführen einer City Maut, das Parken im öffentlichen Raum kostenpflichtig zu machen und Innenstädte sowie Quartiesrzentren autofrei zu halten. Es nützt auch gar nichts, verdruckst um eine Sache herumzureden, von der wir alle ganz genau wissen, worum es geht. Genauso wie wir alle wissen, dass es die Verkehrswende nur dann geben kann, wenn zunächst ordentlich Platz geschaffen wird. Denn der ist die Grundvoraussetzung, um die Angebote für Fuß- Rad- und öffentlichen Verkehr weitaus attraktiver ausbauen zu können. Wenn wir unseren Planeten dauerhaft einigermaßen lebenswert halten möchten, dann müssen wir JETZT damit beginnen, mit voller Kraft voraus, nicht nach achtern, die lieben Herren Rust und Altner. Und weil das so ist, schlägt nun sogar der wissenschaftliche Beirat von Bundeswirtschafts(!)Minister Peter Altmaier genau eine solche City Maut auch für deutsche Städte vor. In vielen anderen Metropolen gibt es das bereits alles. In London kostet die Einfahrt in die City aktuell 14,50 Euro am Tag, zuzüglich einer „Staugebühr“ von 13,35 Euro. Wer keinen Diesel Klasse 6 hat, zahlt noch eine Gebühr dazu. In Amsterdam wird zwar keine City-Maut erhoben, dafür kostet aber das Parken – etwa 535 Euro im Jahr. In Stockholm werden bis zu 9,82 Euro/Stunde „Staugebühr“ (Ex City-Maut) kassiert, wenn mit dem KFZ in die Stadt gefahren wird. Parken in Innenstadtlage schlägt noch einmal mit etwa 6 Euro pro Stunde zu Buche. Für Anwohner ist es ein wenig günstiger: Sie zahlen „nur“ 6 Euro pro Tag dafür, 345 – 1200 Euro im Jahr. In Tokio ticken die Gebührenuhren noch einmal ganz anders. Das lassen wir mal weg jetzt. So oder so – da überlegt man es sich dreimal, ob ein eigenes Auto tatsächlich noch lohnt. Keine Stadt, die bisher eine City-Maut oder hohe Parkgebühren eingeführt hat, hat diese wieder abgeschafft. Warum auch? Die Erfolge können sich sehen lassen! Mit dem eingenommenen Mitteln kann nämlich kräftig in die Verkehrswende investiert werden. Sie sehen schon, mit kleinen „Straßenparks“, die Sie so gerne noch prüfen möchten erst, hat all dies nicht wirklich was zu tun….
Für das Gratisparken in Deutschland und das „Gratisparken“ nur für Bewohner (ca. 20 Euro für zwei Jahre) gibt es schlicht keine sinnvollen Argumente mehr. Unverschämt ist, dass z.B. falsch parken deutlich billiger ist, als in Bahnen und Bussen schwarz zu fahren. Noch unverschämter ist, dass dieses Falschparken so gut wie gar nicht sanktioniert, sondern, ganz im Gegenteil, in weiten Teilen ganz einfach weiter geduldet wird. Zum Thema parken hat die AGORA Verkehrswende auch noch Interessantes zusammengetragen: „Umparken – den öffentlichen Raum gerechter verteilen“.
Unsozial ist aber etwas ganz anderes, liebe sozialdemokratische Parteigenossen Altner und Rust. Unsozial ist, wenn durch hiesigen KFZ Verkehr beträchtliche Kosten entstehen, die alle tragen müssen, also auch diejenigen, die selbst nicht Auto fahren. Unsozial ist, wenn Menschen mit niedrigerem Einkommen, die oftmals keine eigenen Autos mehr besitzen, an unbeliebteren Hauptverkehrsstraßen wohnen, auf denen die Vorstadt- oder gar auf dem Lande lebenden Möchtegern-naturpur-Freunde in ihren energiefressenden SUV’s (18,3% aller Neuzulassungen!!!) gedankenlos und luftverpestend ihren Stauanteil in die Hamburger Innenstadt schieben. Unsozial ist, wenn den HVV dagegen nur diejenigen zahlen sollen, die ihn nutzen. Ausgerechnet diejenigen, die damit den größten Beitrag für Lebensqualität und Klimaschutz in Hamburg leisten.
Stadt neu denken – Stadt neu leben!
Wenn wir anfangen, neu zu denken, wenn wir den Raum schaffen, neue Fußgängerzonen in der Innenstadt und den Quartierszentren zu etablieren, wenn wir es in Angriff nehmen, den Straßenraum vor unseren Schulen umzugestalten, wenn wir neue Bahnen und Buslinien einrichten, HVV dichter getaktet und erschwinglich zu machen, dann werden wir ganz schnell merken, dass niemand mehr das Gefühl haben wird, verdrängt zu werden, um es noch einmal mit SPD-Rust’s Worten zu sagen. Im Gegenteil. Die Hamburgerinnen und Hamburger werden wieder näher zueinander finden, sie werden mehr miteinander kommunizieren, sich mehr an der frischen Luft bewegen, gesünder leben, mehr Freude haben, kurzum, sie werden zufriedenere und ausgeglichenere Menschen werden. In wenigen Jahren schon könnte die Innenstadt komplett autofrei sein, längs des Ring 1 verkehrt nun der spacige „Hyper5“ der Hochbahn, den alle gratis nutzen dürfen. Nur etwa 200 Meter sind die Stationen voneinander entfernt, von denen sich jeder Punkt in der Innenstadt zu Fuß innerhalb von maximal 5 – 7 Minuten erreichen lässt. Unter ihm umrundet ein Radschnellweg die City.
In den Quartierszentren der Stadtteile wurden viele Flächen begrünt, fröhlich wird nun gemeinsam in vielen öffentlich geförderten Urban-Gardening-Areas gesät, gerupft und gepflückt. Kinder toben auf Sport- und Spielflächen in Sichtweite der in kleinen Läden shoppenden und in Cafés Latte-trinkenden Eltern – nicht wie bisher nur irgendwo umzäunt in den Nebenstraßen. Gerade startet Hamburg noch ein weiteres ganz neues Projekt: Sogenannte Stadtteilidentifikationspavillons entstehen überall in Hamburg. Info- und Selbsthilfesharingpoint, Nachbarschaftstreff mit Bistro- und kleinem Veranstaltungsraum für alle möglichen Aktionen – von schlichtem Beisammensein über Kunst und Musik, Film bis Spiel. Finanziert werden sie aus Etats der Kulturbehörde, der seit einigen Jahren 8% der Einnahmen aus Maut- und Parkgebühren zugeteilt werden. Hamburg entschleunigt sich, profitiert enorm vom eingeschlagenen Weg, wird erstmals seit dem Bau der Elphi wieder international bewundert und zählt nun mit zum Club der Städte mit den glücklichsten Menschen in der Welt.
Na? Vielleicht ist die Idee mit den „Straßenparks“ ja doch nicht so schlecht, oder?
Was meinen Sie, werte Herren Rust und Altner?
Über eine Antwort – gern auch nach den Wahlen, würden wir uns von KURS FAHRRADSTADT jedenfalls sehr freuen!
Übrigens, kennen Sie Mikael Colville-Andersen? Das ist der Mensch, der Copenhagenize gegründet hat. Heute berät sein Team Metropolen überall in der Welt in Sachen Wende im Verkehr. Was es dazu braucht und wie das geht. Das alles verrät er in diesem Video, ganz aktuell von der re:publica 2019 im Mai in Berlin. Schauen Sie einmal rein!