Mitten im dicht besiedelten Hamburger Stadtteil Eimsbüttel hat sich klammheimlich so etwas wie ein riesiger Superblock eingeschlichen. Nein, die Rede ist nicht vom SUPERBÜTTEL, allerdings befindet sich der neue in unmittelbarer Nachbarschaft und hat auch keinen Namen. Nennen wir ihn doch einfach „SUPERBÜTTEL Nummer Zwo“.

Niemand hat sich „Nummer Zwo“ extra ausgedacht und geplant, jedenfalls nicht in der Absicht, mit ihm die Verkehrswende, -beruhigung usw. zu erreichen. „Nummer Zwo“ hat seine Existenz einer riesigen Baustelle zu verdanken, denn einmal quer unter Eimsbüttel hindurch wird zur Zeit eine neue, rund 5 Kilometer lange Fernwärme-“Autobahn“ verlegt. Das Herz des neuen Superblocks auf Zeit schlägt mitten im Herzen Eimsbüttels, am zentralsten Ort, da wo der Heußweg die Einkaufsstraße Osterstraße kreuzt, wo Tausende Menschen in und aus der U-Bahnstation strömen und ähnlich viele aus den Bussen von mittlerweile zwei dort verkehrenden Linien steigen. Nur: Die Busse halten aktuell gar nicht hier, sie lassen die Menschen ca. 500 Meter entfernt ein- und aussteigen. Die Busse können hier nämlich gar nicht mehr fahren, weil die Kreuzung dicht ist. Komplett zu, denn die Baustelle in der Schlagader des Stadtteils lässt keinen Kraftverkehr mehr zu, weder im Heußweg, noch in der Osterstraße. Seitdem ist es erstaunlich ruhig geworden im Zentrum Eimsbüttels, mehr noch, es ist angenehm ruhig aber deswegen kein bisschen weniger lebendig. Aber bleiben wir zunächst noch ein wenig bei der Baustelle, denn diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie parallel an mehreren Orten gleichzeitig innerhalb von „Nummer Zwo“ aufgepoppt ist. So gibt es ausgerechnet in der Osterstraße noch eine zweite, es gibt eine in der Rombergstraße ganz in der Nähe, ebenfalls in der Methfesselstraße und im Paciusweg; nur hier befindet sich die einzige Baustelle direkt im SUPERBÜTTEL, die sich insofern vergleichsweise wenig bemerkbar macht, als dass es sich hier nur um einen Fuß- und Radweg handelt. Weitere Fernwärmebaustellen befinden sich nur wenig weiter entfernt – überwiegend in einem nahe gelegenem Gewerbegebiet in der Großen Bahntraße und im Haferweg, wo die Wärme erzeugt und in der Pumpstation auf die Reise geschickt wird. All diesen Baustellen ist gemein, dass bis auf im Paciusweg und in der Großen Bahnstraße, die temporär zu einer Einbahnstraße wurde, für den Kraftverkehr hier Feierabend ist.

Das macht was mit dem Stadtteil! Ganz gewaltig sogar! Aber nimmt davon tatsächlich jemand bewusst Notiz? Also abgesehen vom allgemeinen Ärger, den Baustellen immer mit sich bringen. In Hamburg hat sich in den letzten Jahren insbesondere bei den Autofahrenden eine richtige Allergie gegen Baustellen entwickelt – so viele gibt es in der Stadt, aber das ist ein ganz anderes Thema.

In der gesamten Osterstraße ist der Lärmpegel damit (wenn nicht gerade Baustellenfahrzeuge arbeiten) extrem spürbar zurückgegangen. Auf der Straße, auf der in normalen Zeiten täglich bis zu 16.000 Kraftfahrzeuge oft mit erlaubten 50 Sachen an viel zu engen (Ghost)-Schutzstreifen entlang rauschen, verirren sich in diesen Tagen höchstens noch eine Handvoll. Wie schon erwähnt, umfahren auch die Busse das Herz von „Nummer Zwo“ weiträumig. Radverkehr wird umgeleitet und Fußverkehr….? Wer läuft, hat weite Teile der Haupteinkaufsstraße für sich, denn für zu Fuß Gehende wurden Durchgangsmöglichkeiten gelassen – mitten auf der gesperrten Straße. Man muss sich keine Gedanken mehr über Autos machen, keine Abgase mehr riechen und atmen. Einfach auf der Straße stehen bleiben, Leute treffen, einen Klönschnack halten – all das geht nun deutlich entspannter als zuvor. Noch nie war der Weihnachtsmarkt am U-Bahnausgang so besinnlich wie in diesem Jahr. Natürlich ist er gut besucht – Baustelle hin, Baustelle her. Ladenbesitzende dekorieren ehemals schön bepflanzte Mittelinseln kreativ, um auf ihre Geschäfte aufmerksam zu machen, die nun leider oftmals hinter der Baustelle und ebenfalls deshalb oft umständlich zu erreichen sind. Für sie sind es sicher harte Zeiten – aber das muss überhaupt nichts mit den bei richtigen Superblöcken beabsichtigten Auswirkungen zu tun haben. Auf ihren Beinen sind nämlich gefühlt annähernd ähnlich viele Menschen unterwegs auf der Osterstraße wie auch sonst. Straßenmusiker:innen spielen mitten auf der Fahrbahn, ohne im normalen Verkehrslärm unterzugehen. „Nummer Zwo“ ist ohne Frage ein Lebensqualitätsbooster, was sich dank der weiteren Baustellen in unmittelbarer Nähe und selbst in vielen Nebenstraßen noch deutlich bemerkbar macht.
Übrigens – es ist genau der Teilbereich der Osterstraße aktuell eine Fußgängerzone der etwas anderen Art, der bereits 2014 vom KURS FAHRRADSTADT Vorgänger „Osterstraße autofrei!“ vorgeschlagen wurde, um Räume freizuspielen und anders, nämlich viel besser zu nutzen. Ein Blick nach Wien in die Mariahilfer Straße lohnt sich unbedingt, denn in Teilen ist sie der Osterstraße sehr ähnlich. Diese Einkaufsstraße wurde und wird umgestaltet, in einigen Bereichen zu einer Fußgängerzone, die auch Busse queren. Folgende drei Links können inspirierend wirken:
„Umgestaltung der inneren Mariahilfer Straße“, Download PDF

Liebe Politiker:innen der Eimsbütteler Parteien, Mitarbeiter:innen vom Bezirksamt Eimsbüttel sowie Studierende und Interessierte an HCU und TUHH, nutzen Sie die einmaligen Chancen, die sich nun ganz von selbst ergeben! Bitte begleiten Sie die Bauphase auch aus einem ganz anderen Blick als den des Baustellenmanagements! Begleiten Sie diese Zeit auch wissenschaftlich, beobachten Sie, halten Sie Eindrücke fest. Fragen Sie die Besucher:innen der Einkaufsstraße nach ihren Erlebnissen und Gedanken – natürlich immer mit dem Wissen im Hintergrund, dass eine Baustelle noch lange keine einladende Fußgängerzone ist. Selbst vor dem Umbau der Osterstraße und unter normalen Umständen kamen ohnehin bis zu 92% der Kund:innen in einigen Geschäften rund um die U-Bahnstation nicht mit dem Auto zum Einkaufen! Sprechen Sie mit Gastronomiebetreiber:innen, erkunden Sie, ob sie auch positive Veränderungen bemerken. Bleiben Kund:innen vielleicht länger in den Geschäften? Fragen Sie Geschäftstreibende nach ihren Umsatzentwicklungen und unterscheiden Sie dabei zwischen solchen Geschäften, die weiterhin recht uneingeschränkt oder nur mit Umwegen zu erreichen sind. Viel spannender ist aber, was sich für Anwohnende verändert hat und wie sie diese Situationen meistern, denn hier ist der Superblock-Effekt tatsächlich recht hoch, wohingegen sich Auswirkungen bspw. im Einzelhandel baustellenbedingt sicher nicht zu annähernd gleichen Teilen übertragen lassen. Machen Sie Verkehrszählungen, proaktiv, um wertvolle Daten zu erhalten. Wie schaffen es die Eimsbüttler:innen, trotz all der Baustellen ihr zu Hause zu erreichen? Wie bewegen sich zu Fuß Gehende und Radfahrende aktuell auch in den Nebenstraßen und als Alternative zur Osterstraße? Wird womöglich weniger mit dem Auto, dafür mehr öffentlich, mit dem Rad gefahren oder mehr als vorher gelaufen? Gefühlt bleiben nun noch mehr Autos sehr lange Zeit noch mehr unbewegt in den Straßen als vor der Baustelleneinrichtung. Wie verändern sich dabei die Verkehrsströme? Wäre es nicht sinnvoll, erneut über die Einbahnstraßen-Idee der SPD für die Lappenbergsallee nachzudenken, wofür die Partei nach der SUPERBÜTTEL Vorstellung einen Antrag geschrieben hatte und wozu die Polizei – wie hier in dieser Drucksache unter Punkt „zu 2“ nachzulesen – keine weiteren Bedenken angemeldet hatte?
Zählen Sie nicht nur an der Osterstraße selbst, sondern auch in den umliegenden Straßen! Zählen Sie Fußgänger:innen! Sollte für solche Arbeiten vom Bezirksamt ein politischer Beschluss nötig sein, sollte dieser schnellstmöglich erwirkt werden. Noch voraussichtlich bis in den Sommer hinein wird es die große Baustelle auf der Osterstraßenkreuzung geben, danach in veränderter Form weiter bis Ende 2025. Weil die Fernwärmeleitung sowohl den U-Bahntunnel als auch die Station kreuzt, wird es kompliziert – und das dauert. So eine Chance, viele „Elemente“ eines Superblocks annähernd unter realen Bedingungen auszuprobieren und zu erforschen, wird es in den kommenden Jahrzehnten sicher nicht mehr geben!

Derartige Chancen sollten von Politik und Verwaltungen genutzt werden. Nicht nur, um zu verstehen und zu lernen, sondern auch um möglichst nahtlos an Veränderungen anzuknüpfen, die sich ergeben. Menschen gewöhnen sich nach einer Weile an neue Zustände und passen sich an – perfekte Möglichkeiten, auf diese Weise neue Straßenräume zu etablieren und zu verstetigen! Solche Gelegenheiten zu nutzen ist eine Möglichkeit, mit tactical urbanism zu arbeiten – hinter diesem Link verbergen sich viele Lösungen, die auf Hamburg zugeschnitten sind. Werden solche Gelegenheiten nicht genutzt, ist die Gefahr hoch, dass nach vertanen Chancen bei der Rundumgestaltung der Osterstraße vor bald 10 Jahren nun erneut Möglichkeiten und Zeitfenster verschlafen werden – selbst wenn sie beinahe auf dem Silbertablett serviert werden.

Paris im Sommer 2024: Die Stadt an der Seine verzaubert die Welt mit spektakulären olympischen Spielen mitten in der City. Für Olympia und die Aufbauphase im Vorwege wurde die Pont D’Iena, die von Touristen stark besuchte Seinebrücke, die den Eiffelturm mit den Jardins de Trocadéro verbindet, für den normalen Verkehr gesperrt. Schon länger hegt Bürgermeisterin Anne Hidalgo den Wunsch, diese Brücke für immer für Autos zu sperren. Wenige Tage nach dem Ende der Spiele folgte der entsprechende städtische Erlass – heute gehört die Brücke zu Fuß Gehenden und Radfahrenden. Nur öffentliche Busse, Taxen und städtische Einsatzfahrzeuge dürfen sie noch passieren. „Es ging bereits eine Weile ohne die Autos – dann geht es auch immer ohne Autos“, hieß es aus dem Umfeld der weltweit bewunderten Bürgermeisterin. Damit wurden de facto sechs (!) Fahrbahnspuren für privaten Autoverkehr abgeschafft. Wie Paris das alles macht – darüber haben wir hier berichtet.

Ganz so groß muss es ja nicht gleich werden. Klein anfangen wäre auch schon ganz nett. Wie wäre es denn z.B. mit dem Zebrastreifen in der Schwenckestraße, der vor einiger Zeit genauso plötzlich wieder verschwand, wie er einige Monate (!) zuvor auf einmal aufgetaucht war? Das Schöne daran war, dass es in dieser Zeit das erste Mal überhaupt eine sichere Querungshilfe exakt genau an der Stelle der natürlichen Fußverkehrsverbindung auf der Route Apostelkirche, Unnapark zur Osterstraße gab, wo er am meisten gebraucht wurde. Kinder und Familien haben ihn geliebt und rege auf dem Weg in den Park oder zum Spielplatz dort genutzt – nun müssen sie wieder große Umwege zur Ampel laufen und selbst am „normalen“ Überweg gibt es keine vergleichbar sichere Möglichkeit, über die Straße zu kommen. Dieser Umstand hat inzwischen sogar Eltern auf den Plan gerufen, die den Zebrastreifen wieder haben möchten. Übrigens – es gab den gelb markierten Überweg auch nur wegen einer Baustelle. Und Anne Hidalgo argumentiert mit der Sicherheit von zu Fuß Gehenden und Radfahrenden, weshalb sie die Autos von der Brücke holt…

Liebe KURS FAHRRADSTADT Fans,
das nächste Jahr wird sicher spannend. Wahlen im Bund und Wahlen in Hamburg. Den Grünen konnten wir gerade vor einigen Tagen bei einem Verkehrsverbände-Vernetzungstreffen im Rathaus unsere Wünsche in den Block diktieren. Wir wünschen uns Leuchtturmprojekte, die Hamburg unbedingt braucht, um noch einen Gang extra einzulegen, um endlich schneller voranzukommen. Das wünschen wir uns übrigens von allen Parteien, ganz besonders von SPD und CDU.
Vor allem aber wünschen wir uns Frieden.
Frieden in der Welt und in Europa.
Frieden aber auch in Hamburg, damit es möglich wird, sachlich, konstruktiv und gut zusammen nach Lösungen zu suchen, die uns nachhaltig und besser bewegen. Und wir wünschen uns Frieden auf den Straßen der Stadt, auf denen auch in diesem Jahr wieder viel zu viele Menschen einen Unfall erlitten oder ihr Leben ließen.
Vor wenigen Tagen fuhr ein Autofahrer in den Vier- und Marschlanden ein kleines Kind auf seinem Laufrand an. Das Mädchen wurde verletzt, der Fahrer stieg aus, wieder ein und flüchtete. Oder Othmarschen, beinahe zeitgleich geschehen: 97 Jahre hatte die alte Dame geschafft – dann tötete sie ein LKW-Fahrer.
Wir wünschen uns, dass das anders wird.
Nun aber lassen wir das vergehende Jahr bald hinter uns.
Voller Hoffnung, dass 2025 besser wird, wünschen wir euch frohe Weihnachten, einen guten Rutsch ins neue Jahr, Glück, Gesundheit und alles, was gute Laune macht! Wie vielleicht diese beiden kleinen Dinge, die wir hier etwas weiter unten noch für euch zusammengeschnürt haben.
Bis demnächst,
euer KURS FAHRRADSTADT Team


Das ist gar nicht so schwer! Ihr braucht nur ein paar Ideen und am besten ein paar Nachbar:innen, die sich so etwas auch gut vorstellen können. Auf den Seiten der NGO changing cities findet ihr umfangreiches Infomaterial, wie ihr ein solches Vorhaben am sinnvollsten angehen solltet, wo ihr Unterstützung bekommt, was beachtet werden sollte und wie ihr euch am besten organisieren könnt. Wir von KURS FAHRRADSTADT sind immer gerne bereit, euch Fragen zu beantworten. Mailt einfach an ahoi@kursfahrradstadt.de.
Die wichtigsten Zutaten sind aber:
Du. Und einfach loslegen!

Superblöcke verstehen:
Superblöcke sind wahre Alleskönner: Sie bringen die Nachbarschaft zusammen, sie nehmen Sorgen, verbessern das Klima, bieten Raum für viele Arten, sind Lebensverlängerer, Streitthema, kurbeln die Wirtschaft an und sind Verkehrswendehelfer. Ganz schön viel!
Die Agentur „urbanista“ hat 2024 im Oekom-Verlag das Buch „alles super?“ herausgegeben, welches auf den Verlagsseiten zum freien Download angeboten wird. 96 reichlich bebilderte Seiten geballtes Wissen rund um Superblocks – ein „must have“ für alle, die Superblöcke planen, noch ein wenig Argumentationshilfe benötigen oder ganz einfach nur neugierig sind. Findet ihr das SUPERBÜTTEL?

© oekom – Gesellschaft für ökologische Kommunikation


Superblock Superblock
Reallabor Superblock
Superblock Superblock
Reallabor Superblock













2 replies on “Reallabor Superblock”
Ich wünsche mir, dass mindestens die Osterstraße als Fußgängerzone, Kommunaltrasse, Begegnungszone oder was auch immer an innovativen Stadtoptionen möglich ist nach der Baustelle für den Durchgangangsverkehr geschlossen bleibt. Allein schon wegen der Feinstaubbelastung mitten im Wohnquartier. Und dass man endlich aufhört, das Märchen zu erzählen, dass Geschäfte davon pleite gehen wenn mehr Fußgänger unterwegs sind!
LikeLike
Mal wieder ein groÃartiger Beitrag von euch! Mit Genuss gelesen. Wir versuchen ja mit unseren inzwischen vernetzten Parklets auch einen kleinen Beitrag zu leisten, der in die gleiche Richtung geht Parklets Eppendorfer Weg, LutterothstraÃe, FaberstraÃe, Hellkamp.Weiter so !Liebe GrüÃe Stefan vom parklet Eppendorfer Weg–Gesendet mit der GMX Mail App
LikeLike