Moin!
Wir hoffen, dass es euch allen gut geht und ihr bisher gut durch den Herbst – oder besser – durch das letzte halbe Jahr gekommen seid! Wir haben uns in der letzten Zeit recht rar gemacht; das hatte einige Gründe. Zum Beispiel den, dass wir schlicht einfach mal wieder ein wenig Zeit für uns selbst und unsere Familien brauchten, denn die Arbeit für KURS FAHRRADSTADT ist teilweise doch recht umfassend. Hinzu kam und kommt natürlich die COVID-19 Pandemie, die ohnehin vieles zum Erliegen brachte, lange Zeit auch unsere internen Treffen. Und last, but least, wollten wir unserem neuen Senat und insbesondere unserem neuen Senator für Verkehr und Mobilitätswende zunächst eine Anlaufzeit geben, ohne gleich „loszumosern“.
Wir haben in unserer letzten Pressemeldung kurz vor der Unterzeichnung des neuen Koalitionsvertrages den Grünen Hamburg dringend davon abgeraten, diese Koalition mit den erreichten Einigungs-Ergebnissen einzugehen. Als KURS FAHRRADSTADT blieb uns nichts anderes übrig, als genau so zu argumentieren, denn die Ergebnisse bleiben tatsächlich sehr weit hinter dem zurück, was wir seit Beginn unserer Aktivitäten fordern – nämlich die tatsächliche Verkehrswende in Hamburg – mit der klaren Priorisierung des Umweltverbundes.
Dennoch freuen wir uns natürlich, dass der Verkehrssektor inzwischen in grüner Hand ist und wünschen Anjes Tjarks, dass ihm gelingen möge, was er und die Grünen sich auf die Fahnen geschrieben haben.
Inzwischen ist aber seitdem auch schon einiges an Zeit vergangen und wir registrieren sehr wohl die eine oder andere Duftnote und nehmen den frischen Wind wahr, der mittlerweile nicht nur aus der Verkehrsbehörde, sondern auch aus den Bezirken zu vernehmen ist. Wer hätte noch vor einem Jahr für möglich gehalten, dass Behördenvertreter aus Altona und Nord im Rahmen der Planungen zur Veloroute 1 und Umbauten in der Jarrestadt öffentlich kundtun, dass „es keinen Rechtsanspruch auf Autoparken im öffentlichen Raum gibt“, denn „dieser solle für alle da sein“. Noch besser sogar: „In einem dicht bebauten und besiedelten innerstädtischen Bereich wie diesem muss das auch jedem Anlieger eigentlich klar sein.“ (siehe „Veloroute killt Parkplätze – Ottensen dicht: Anwohner fürchten „wahnsinniges Chaos““, MOPO, 21. August 2020 und „Baustellen-Frust in Hamburg – Hilfe, in unser Straße gibt es kaum noch Parkplätze!“, Mopo, 12. Oktober 2020)
Der Wind dreht sich langsam – und das ist gut so.
Seit wenigen Tagen haben Autos in der City auf dem Jungfernstieg endlich nichts mehr zu suchen – in kleinen Schritten können alle sehen, dass sich in Hamburg einiges ändern soll. Wie gesagt, kleine Schritte – der große Wurf bleibt leider weiter aus.
Dazu würde nämlich weitaus mehr Mut und Entschlossenheit gehören als die schönen Interviews, die Hamburgs neuer oberster Mobilitätsmanager kurz nach seiner Amtseinführung gegeben hat sowie diverse neue Blüten bei den Werbungs- und Imagekampagnen, die Radfreude und mehr Akzeptanz zwischen den Verkehrsteilnehmenden vermitteln soll. Besonders nett der riesige und unübersehbare „DANKE“ Schriftzug am Harvestehuder Weg, das ‚Danke‘ der Stadt an alle Menschen, die auf ihre Räder umgestiegen sind.
Ein bisschen mehr ‚Danke‘ hätte es aber durchaus gerne sein können – hier eine kleine Liste der Dinge, die wir uns als unkomplizierte Maßnahmen doch sehr – insbesondere als ein echtes ‚Danke‘ gewünscht hätten – und die wir uns noch immer wünschen:
- Wir vermissen, gerade aufgrund rasant angestiegener Radfahrerzahlen, deutlich größzügigere Aufstellflächen an allen stark frequentierten Kreuzungsbereichen.
- Wir vermissen andere Ampelschaltungen. Wir wünschen uns solche, die Radfahrer insbesondere in der nun wieder kälter und dunkler werdenden Jahreszeit nicht unnötig lange vor rot warten lassen. Vor allem solche, die bei Regen noch schneller gerade denen den Vorzug geben, die keinen warmen Käfig und kein Dach über ihren Köpfen haben.
- Wir wünschen uns Protected Bikelanes, nicht nur „Pop-Up“ Linien. Wir wünschen uns den Mut, Dinge, wenn man sie probiert, auch gleich mal richtig zu probieren – auch wenn es heißt, dass dann wieder einige Parkplätze (zunächst ja nur testweise, wohlgemerkt) entfallen werden. Viele andere Städte machen genau das doch schon seit langem vor. (Pop-Up Beim Schlump). Wenn beispielsweise Altonas neue Bezirkschefin Stefanie von Berg selbst sagt „Wenn die Mobilitätswende sichtbar werden soll, werden wir leider vor dem Hintergrund der ambitionierten politischen Bauprogramme nicht allen Interessen gerecht werden können“, warum versucht man dann trotzdem sich an den Strohhalm „Parkplatz“ zu klammern, anstelle konsequent gleich das Beste zu testen?
- Wir wünschten uns einen Stopp der bisherigen Sternbrücken-Planungen. Vierspurige Straßen mitten im Wohngebiet entspricht nun wirklich nicht mehr dem, was angesagt ist.
- Und – wir wünschten uns ein sofortiges Moratorium der weiteren Umbauplanungen der Elbchaussee. Der letzte Stand der Dinge – immerhin handelt es sich hier um die zweite Verschickung und damit quasi um die finale Planung des Abschnittes zwischen Manteuffelstraße in Nienstedten und der Parkstraße in Othmarschen – verheißt nur wenig Gutes: Eine durchgängige Fahrradinfrastruktur wird es selbst hier nicht geben, ganz zu schweigen von den mehrheitlich geforderten, abgetrennten und damit sicheren Radwegen für alle.
- Wir wünschten uns, dass deutlich mehr Rotlichtblitzer aufgestellt werden. Andere Städte machen es vor. Göttingen beispielsweise. Gefühlt an jeder zweiten Ampel sind solche Anlagen dort vorhanden. In Hamburg kann man sie noch immer an wenigen Händen abzählen.
Letzteres eine Sache, dessen absolute Dringlichkeit mir selbst, der dies hier schreibt, gerade in letzter Zeit immer deutlicher vor Augen geführt bekommt. Seit Corona zähle auch ich mich zu den vielleicht nicht extrem hartgesottenen Alltagsradlern, aber fast immer, wenn es nicht zu nass ist, radel ich meinen Arbeitsweg von Eimsbüttel bis hinaus nach Sasel. Viele Ampeln kenne ich schon lange, aber nun lernt man sie durchaus noch einmal anders und mit anderen Augen kennen. Wir schrieben schon immer viel von der Problematik, der über rot fahrenden Autos insbesondere in dieser Stadt. Allein heute zählte ich auf meinem Rückweg sieben KFZ-Lenkende, die statt zu bremsen auf die Tube drückten – jeweils voll rüber weit jenseits von spätgelb. Hinzu kam letzten Freitag ein Erlebnis der dritten Art, letzten Freitag an der Kreuzung Ratsmühlendamm / Hummelsbütteler Landstraße und Maienweg: Nur mit einem Riesenglück wurde einer Radlerin vor mir und mir selbst ein Unfall erspart, der verdammt schlimm hätte enden können. Der – zum Glück – noch im allerletzten Moment gelungenen, quietschenden Vollbremsung eines Taxifahrers, der mitten während seiner Rotphase mit mindestens 50 Sachen über die rechte Abbiegespur vom Ratsmühlendamm kommend in die Hummelsbütteler abbiegen wollte, haben wir zu verdanken, dass es nur bei einem Mordsschrecken und einem leichten „Anditschen“ an das Taxi meiner Vorausfahrenden gekommen war und es zu keinen Stürzen kam. Eine halbe Sekunde später oder 2 Meter weiter hätte es komplett anders ausgehen können….
Damit sind wir bei dem Punkt, um den es uns diesmal ganz besonders geht:
Grüner Verkehrssenator hin, tolle Pläne her. Während andere selbst über diese neuen Verhältnisse in Hamburg lachen, bleibt radfahren und laufen in dieser Stadt, dank weiterhin autozentrierter Sichtweise auf die Dinge, ganz einfach gefährlich – sorry, aber so muss man es leider nennen.
Nett gedacht, schlecht gemacht ergibt oft genau das selbe. Es werden Gefahrenzonen geschaffen, anstelle sie unter Vision-Zero-mäßigen Gesichtspunkten möglichst gleich ganz zu umgehen. Auch davon gibt es in Hamburg leider so allerhand zu sehen. Bereits vor rund eineinhalb Jahren waren wir über den Ort gestolpert, auf den wir hier nun kommen. Weil wir uns gedacht hatten, dass es ganz einfach besser gehen muss – und dass die Gefahr hier gleich mit eingebaut wurde. Bis hier etwas passiert, würde es nur eine Frage der Zeit sein. Und dann geschah genau an dieser Stelle vor wenigen Tagen der Unfall.
Gerne möchten wir uns in diesem Jahr noch einmal auf Hamburgs Straßen zeigen und Gutes tun, neue Ideen in den Raum werfen und hoffentlich eine kleine Diskussion damit ins Laufen bringen. Darum hatten wir uns vor etwa einen Monat entschieden, nun doch noch an diesem Ort aktiv zu werden. Der Unfall hat uns darin bestätigt, sodass wir trotz Corona für den kommenden Freitag, 23. Oktober, in den Morgenstunden eine kleine, aber feine Demo angemeldet haben, bei der wir extra darum bitten, dass Abstände eingehalten, Masken aufgesetzt werden und diesmal möglichst nicht viele Menschen mit uns zusammen dort an der Straße stehen.
Es reicht völlig, wenn wir es schaffen, allen, die an diesem Morgen an uns und dem Demo-Ort vorbei radeln oder laufen, ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

KURS FAHRRADSTADT’s nächste Aktion wird diesmal in Hamburg Hamm am Hammer Steindamm stattfinden. Genau dort, wo die Veloroute 8 über eine Mittelinsel die Straße überquert. Warum wir das hier machen und wie unsere Lösung aussieht, darüber erfahrt ihr hier in unserer Pressemeldung, die soeben erschienen ist, noch ein wenig mehr. Lasst euch einfach überraschen! Und lasst uns das Bewegen in Hamburg weiter zusammen verbessern – für eine Stadt, in der Lebendigkeit nicht allein in durch die Gegend rasenden Autos gemessen wird.
Bleibt gesund – und fahrt weiter vorsichtig!
Es grüßt euch herzlich euer Team
KURS FAHRRADSTADT