+++ Update vom 24. April hier lesen +++
„Mobilität, die ankommt“, haben uns die Grünen noch im Wahlkampf versprochen und überhaupt schienen sich viele Parteien gerade dieses Thema auf die Fahnen geschrieben zu haben – auch bei der SPD rangierte das „Rumkommen“ sehr weit vorn. Die Wahlen sind nun schon ein wenig her, das Corona-Virus hält Hamburg nach wie vor in Atem. Die Straßen sind leer, neue Ideen bleiben aus und statt mit gesundem Ankommen, haben wir es inzwischen mit einer Mobilität zu tun, die ansteckt. Vor allem die Grünen sind in Sachen Verkehrspolitik seit Corona scheinbar auf Tauchstation gegangen – zu einem ihrer Lieblingsthemen vernimmt man kaum mehr etwas. Wie kann das sein?
Dabei sollte die Stadt froh sein über alle Bürger*innen, die nun umsteigen auf das Fahrrad oder die zu Fuß laufen. Beides ist gesund – in diesen Zeiten erst recht. Draußen an der frischen Luft hat es das Virus wesentlich schwerer, sich neue Opfer zu schnappen – ein mehr als starkes Argument, gerade jetzt zu radeln und zu laufen. Eine bessere Möglichkeit, umweltfreundlich und zugleich mit Anstand und Abstand von mindestens 1,50 Meter zum Nächsten einhaltend durch die Stadt zu kommen, gibt es kaum. Doch ausgerechnet nun ist es dann mehr als ärgerlich, wenn sich die Radfahrenden an der nächsten Ampelkreuzung auf viel zu kleinen Aufstellflächen auf die Pelle rücken müssen oder sich Fußgänger*innen sogar gegenseitig vom Bürgersteig schubsen, nur weil ganz einfach viel zu wenig Platz ist. Überholen ist da auch schwer, egal ob auf dem Rad oder zu Fuß. Hier wird ausgebremst, wer sich bemüht, möglichst alles richtig zu machen.
Andere Leute und Städte haben längst verstanden:
Jens Spahn z.B., unser Gesundheitsminister. Er rief dazu auf, möglichst mit dem Rad zu fahren, um das Infektionsrisiko zu minimieren. (In Germany, the German Minister of Health Mr. Jens Spahn stressed that people should avoid public transport and instead should cycle more in order to reduce risks of infection. – https://www.transformative-mobility.org/news/the-covid-19-outbreak-and-implications-to-public-transport-some-observations). Bogotá hat das verstanden, geschützte Radwege wurden dort auf rund 100 Kilometern auf ehemaligen Autospuren eingerichtet. Oakland rüstet 74 Meilen Autospuren in Radwege um. Wien führt den bereits begonnenen Mobilitätswandel fort und erklärt diverse Wohnstraßen nun zu Spielstraßen, damit Fußgänger und Kinder auf einen Schlag mehr Platz bekommen. Und – ganz nah dran, beinahe nebenan – zeigt Berlin, wie es geht: Auch dort werden nun Autofahrspuren zu Pop-up Corona-Bike-Lanes umgewandelt (https://www.berlin.de/senuvk/verkehr/politik_planung/rad/infrastruktur/temporaere_radstreifen.shtml). Gleiches Land, gleiche StVO, gleicher Asphalt. Gelbe Baustellen-Markierung auf die Straßen, Baken hin – fertig. Das Amt ist gewillt, Gutes zu tun und das auch fix. International wird darum nun auch nach Berlin gesehen. Senatorin Regine Günther (Grüne Berlin) geht sogar so weit, deutlich zu machen, dass temporär nicht unbedingt bedeutet, diese nun gewonnenen Radwege nach Corona wieder abzuschaffen. Toll!
Was muss passieren, damit der Hamburger Senat und vor allem auch die Grünen aufwachen, damit Hamburg sich in diese Reihe einklinkt und noch mehr tut, die Bürger*innen effektiv zu schützen?
KURS FAHRRADSTADT hat bereits vor gut drei Wochen darauf aufmerksam gemacht und gefordert, Chancen zu nutzen, die sich nun ergeben (https://kursfahrradstadt.wordpress.com/2020/03/28/corona-hamburg-mobilitaet-verkehr/). Geschehen ist auf unseren Straßen und Wegen dagegen im Grunde nichts. Der Hamburger Fahrradclub hat dieses Nichtstun gerade erst öffentlich angeprangert – denn „Kein Mensch kann auf den typischen – oft nur ein bis zwei Meter schmalen – Hamburger Radwegen den geforderten Abstand einhalten.“ (https://www.mopo.de/hamburg/–social-distancing–ist-hier-unmoeglich-hamburg-will-die-radwege-nicht-ausweiten-36553538)
Corona + Hamburg + „24% Fahrradstadt-Grüne“: Bringen Verkehrspolitik und Mobilitätswende nicht weiter. Warum?
Liebe Senator*innen, liebe Grüne und SPD, denken Sie bitte daran, dass in Zeiten der Virus-Pandemie Klimaschutz und somit Mobilitätspolitik nicht zu kurz kommen dürfen. Hamburg hat sich erst kürzlich ein Klimaschutzgesetz gegeben und diese Ziele sogar mit in die Hamburger Verfassung aufgenommen, wo es nun als (Stadt) Staatsziel heißt: „Insbesondere nimmt die Freie und Hansestadt Hamburg ihre Verantwortung für die Begrenzung der Erderwärmung wahr.“ Dieses Vorhaben wird nicht funktionieren, wenn Hamburg den Verkehrssektor weiter so sträflich vernachlässigt und alles Wohl und Wehe auch zukünftig am Auto hängt.
Jetzt ist die Zeit der neuen Ideen, der Versuche, die richtige Zeit, um Mobilitätslabore auf den Straßen umzusetzen und öffentlichen Raum umzuordnen, damit Menschen in der Stadt wieder mehr Platz haben und Abstand von einander halten können. Um rund die Hälfte ist der alltägliche Kraftverkehr eingebrochen und das sonst vielmals vorgebrachte Argument, dass gewisse Dinge „.. den Hamburger*innen“ oder „.. den Autofahrenden nicht vermittelbar seien“, zieht nicht mehr. Die Straßen sind ja leer wie nie zur Zeit.
Was es braucht, ist nur der Mut der hiesigen Politik, des Senats und der Parteien, Chancen nun endlich zu nutzen.
Was könnte man da alles machen? Beste Protected Bikelanes auf beiden Seiten von großen, mehrspurigen Straßen. Sogar Fastlanes, um Sicherheit und Bequemlichkeit noch weiter zu erhöhen. Die Elbchaussee könnte nun wirklich mal über einen längeren Zeitraum zu einer Fahrradstraße umgepolt werden. In engen Vierteln wie in Eimsbüttel oder Barmbek können Wohnstraßen in (temporäre) Spielstraßen umgewandelt werden. Kinder müssen draußen sein, sie müssen sich bewegen können, um ihren natürlichen Tatendrang befriedigen zu können. Ihnen jetzt die Möglichkeiten zu geben, auf Straßen zu inlinern, zu skaten oder vielleicht auch einfach nur zu spielen, kann einen Ausgleich zu geschlossenen Spielplätzen darstellen und somit gerade in Zeiten, in denen schon der Unterricht ausfällt, als ein wichtiger Baustein zur kindlichen Entwicklung und Förderung in der Krisenzeit beitragen. Neben Spielstraßen könnten vermehrt neue Einbahnstraßen eingeführt werden. Teile der Osterstraße könnten gerade jetzt tatsächlich als Fußgängerzone und neue Busspuren eingerichtet werden an so einigen Orten in der Stadt, wo man sich bisher nicht getraut hat. Und warum nicht bei der Gelegenheit längst Totgesagtes wieder aufleben lassen und laut über eine Wiedereinführung der Straßenbahn nachdenken? Corona eröffnet viele bis vor kurzem ungeahnte Möglichkeiten.
Kurz: Der aktuell oftmals leere Stadtraum Straße liegt den Entscheidenden nun zu Füßen – diese wohl recht einmaligen Chancen im Sinne des Gesundheits- und Klimaschutzes leichtfertig zu verspielen, wäre einfach dumm.
Am Ende noch der kleine Hinweis: „Geht nicht“ gibt’s nicht! Das hat Hamburg in der Fruchtallee übrigens selbst schon einmal ganz vorbildlich gezeigt. Dort wurde quasi monatelang eine wunderbare, bestens geschützte Bikelane auf einer Autofahrspur eingerichtet. Damals war es wegen einer Baustelle. Nun halt wegen Virus und Klimaschutz.
(https://kursfahrradstadt.wordpress.com/2018/04/23/hamburg-kann-premium-bike-lane/)
Einfach machen.
Kann Wunder wirken.
4 Antworten auf „Corona in Hamburg: Verkehrspolitik auf Tauchstation“
Es reicht ein Fünkchen Wille.
In Düsseldorf wurde das Parken in der Stadt kostenlos und die Umweltspuren für den PKW-Verkehr freigegeben. Manchmal bleibt mir als Radler nur noch die Spucke weg 😦
Die Doku „Why we cycle“ kann man heute kostenlos anschauen mit dem Code: DOCSCONNECT. Es gibt deutsche Untertitel
[…] Wir haben gerade vor einigen Tagen darüber berichtet, dass es Städte gibt, die das ganz anders han…, um ihre Bürgerinnen und Bürger noch besser vor einer Virusansteckung zu schützen. Zu der Liste der Städte, die wir dort aufführten, gesellt sich nun auch Mailand in Norditalien. In der 1,4 Millionen-Metropole, der zweitgrößten in Italien, die auch hart vom Coronavirus getroffen wurde, sollen noch über den Sommer 35 Kilometer bisherige Autospuren in Radwege und Fußgängerbereiche umgewandelt werden. Dies vor dem Hintergrund, dass der Verkehr dort zwischen 30% – 75% abgenommen hatte und das weiterer Schutz für die Bevölkerung geschaffen werden solle, bevor es Lockerungen des dortigen Shutdowns gibt. […]