
Folgenden Text hat unsere KFHH-Mitstreiterin Christine heute an die Hamburger Politik und oberste Verwaltungsebene geschickt:
Offener Brief: Mobilität in Hamburg
Warum schreibe ich Ihnen als Hamburger Bürgerin?
Ich möchte Sie bitten, sich Herrn Professor Hermann Knoflacher, Verkehrsexperte aus Wien bis zum Schluss anzuhören und daraus etwas mitzunehmen: https://youtu.be/L_ogFG3cpdg („Zurück zur Mobilität – Anstöße zum Umdenken in Zeiten des Klimawandels“, 2013 und weiterhin relevant)
Sie müssen das Nachfolgende nicht mehr lesen, wenn Sie das Video angesehen haben. Wenn Sie verstehen wollen warum ich Ihnen schreibe, freue ich mich, wenn Sie dennoch weiterlesen. Diese Mail geht als offener Brief an Hamburger Medien sowie an ausgewählte Personen aus der Verkehrs- und Städtebauplanung sowie an die Hamburgische Architektenkammer.
Ich möchte Sie bitten, das Thema Mobilität aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
Ich möchte Sie dringend bitten, der Mehrheit der Hamburgerinnen und Hamburger ihre Mobilität im Verständnis von Prof. Knoflacher zurück zu geben.
Ich möchte nicht länger hören und geantwortet bekommen, dass man prüft, abwägt und dann doch so weitermacht wie bisher.
Ich möchte nicht länger medial polarisiert werden oder auf andere politische Mehrheiten mit Wahlversprechen warten, die Polizei als Freund und Helfer vermissen, wenn es um Sicherheit im Straßenverkehr geht (vergebliche Kämpfe von tausenden HamburgerInnen für Tempo 30) oder autofreie Minizonen als große temporäre Versuche verkauft bekommen, die man rückabwickeln kann. Sie sind andernorts Realität in ganz anderen Dimensionen, es ist bereits alles hierzu gelernt.
Ich möchte, dass Sie sich von der autogerechten Stadt verabschieden und das öffentlich kundtun (so wie München) und an verbleibenden Kreuzungen und noch besser an allen Ampeln automatische Blitzanlagen bei Rotlichtverstößen integriert werden. Auch das ist in anderen Bundesländern jahrelange Praxis (u.a. NRW). Die Investition dürfte sich über die Einnahmen in der Anfangszeit sicherlich amortisieren.
Ich wünsche mir, dass Hamburg aus der Mikroebene von Mobilitätslaboren und dem Ansatz allen gerecht zu werden herauskommt und das Große Ganze in den Blick nimmt sowie energisch dazu beiträgt, dass sich gesetzliche Rahmenbedingungen verändern (StVO, etc.), bereits jetzt vorhandene gesetzliche Spielräume zugunsten von Sicherheit, Gesundheit und Klimaschutz genutzt werden und oberste Priorität haben.
Ich wünsche mir eine Parkraumbewirtschaftung wie in Helsinki.
Ich schließe mich voll und ganz der Forderung der Hamburgischen Architektenkammer an, anstehende Um- und Neubauten von Straßen und Plätzen nur noch in interdisziplinären Teams zu planen und dabei städtebauliche, soziale, freiraumplanerische, ökonomische und verkehrliche Erfordernisse zusammenzudenken.
Ich möchte nicht mehr zusehen wie Verantwortung verschoben und wichtige Zeit für Veränderungen vergeudet wird.
Ich möchte, dass Hamburg vom „Virus Auto“ (Zitat Knoflacher) befreit wird und nicht mit dem nächsten Virus „autonom fahrendes Auto“ als vermeintliche Lösung infiziert wird.
Und ich wünsche mir eine differenziertere Betrachtung des Themas Verkehr und seiner klimarelevanten Bedeutung vor dem Hintergrund von Hafenlogistik und Wirtschaftsverkehren in einer Stadt, die knapp 2 Millionen Menschen beherbergt und die soziale Dimension der Gesunderhaltung und der Lebensqualität ihrer Bürgerinnen und Bürger regelmäßig an zweiter Stelle nennt (siehe alternativ Rotterdams Konzept der Zero Emission Stadtlogistik).
Ich wünsche mir neben aller Technikdiskussion die Rückbesinnung auf das menschliche Maß – dem Menschen als Individuum und soziales lebendes Wesen im urbanen Raum.
Ich wünsche mir eine klare Vision für das Hamburg der Zukunft, mehr Reallabore, die testen, ausprobieren und aus den Erfahrungen in die kostenrelevante Umsetzung gehen wie in der Metropolregion Amsterdam. Dazu gehört ein Weniger an „entweder-oder“ (Stadtbahn) zugunsten eines „sowohl-als auch“.
Ich möchte keinen Kopfairbag bei der Aktion „Hamburg gibt Acht“ gewinnen, sondern den täglichen Weg auf Hamburgs Straßen ganz selbstverständlich überleben. Ich möchte nicht mehr dreimal innerhalb eines Halbjahres in der Innenstadt und in Eimsbüttel durch Rotlichtraser überfahren werden, wenn ich von meinem Recht Gebrauch gemacht hätte, bei Grün über die Fußgängerampel zu gehen.
Ich möchte Kinder in der Stadt außerhalb von eingezäunten Spielplätzen spielen und auf sicheren Wegen zur Schule Radfahren sehen – in einer kindgerechten Stadt.

Ich bitte um mehr Bescheidenheit und Ehrlichkeit bei dem Blick auf bisher Erreichtes sowie Mut bei der Umgestaltung unserer Stadt unter Einbezug wissenschaftlicher Expertise, interdisziplinärer Teams und einem Fokus auf konkrete Umsetzung.
Ich bitte Sie zu bedenken, dass uns allen (nur) noch zehn Jahre bleiben, bis diese Stadt im Sinne des Nachhaltigkeitsziels 11 (SDG) inklusiv, sicher, resilient und nachhaltig ist und 30 % der CO2-Emissionen im Verkehrssektor eingespart hat. Es geht nicht um das Ob sondern um das Wie. Das bedarf gemeinsamer Anstrengungen und einer großen Gestaltungsfreude im Hier und Jetzt. Danke, dass Sie bis hierhin gelesen haben.
Ich freue mich, wenn ich zu einer lebendigen sachorientierten Diskussion beitragen kann, die ab sofort dazu beiträgt, dass wir eine andere Hamburger Mobilitätszukunft gestalten.
Vielen Dank und freundliche Grüße
Ziel 11
Ziel 11 der UN- „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ beschäftigt sich mit den Städten dieser Welt. Ziel ist: „Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten“. Ziel 11 ist dabei wiederum auf 10 Unterziele aufgesplittet:
11.1 By 2030, ensure access for all to adequate, safe and affordable housing and basic services and upgrade slums
11.2 By 2030, provide access to safe, affordable, accessible and sustainable transport systems for all, improving road safety, notably by expanding public transport, with special attention to the needs of those in vulnerable situations, women, children, persons with disabilities and older persons
11.3 By 2030, enhance inclusive and sustainable urbanization and capacity for participatory, integrated and sustainable human settlement planning and management in all countries
11.4 Strengthen efforts to protect and safeguard the world’s cultural and natural heritage
11.5 By 2030, significantly reduce the number of deaths and the number of people affected and substantially decrease the direct economic losses relative to global gross domestic product caused by disasters, including water-related disasters, with a focus on protecting the poor and people in vulnerable situations
11.6 By 2030, reduce the adverse per capita environmental impact of cities, including by paying special attention to air quality and municipal and other waste management
11.7 By 2030, provide universal access to safe, inclusive and accessible, green and public spaces, in particular for women and children, older persons and persons with disabilities
11.A Support positive economic, social and environmental links between urban, peri-urban and rural areas by strengthening national and regional development planning
11.B By 2020, substantially increase the number of cities and human settlements adopting and implementing integrated policies and plans towards inclusion, resource efficiency, mitigation and adaptation to climate change, resilience to disasters, and develop and implement, in line with the Sendai Framework for Disaster Risk Reduction 2015-2030, holistic disaster risk management at all levels
11.C Support least developed countries, including through financial and technical assistance, in building sustainable and resilient buildings utilizing local materials
Mehr ausführliche Informationen dazu findet ihr hier:
https://www.un.org/sustainabledevelopment/cities/

2 Antworten auf „Nachhaltigkeitsexpertin redet Hamburg ins Gewissen“
Tja, Idealisten wie Dich muss es auch geben. Ich habe selbst einen in der Familie, und der beisst sich mit mir, einem knochentrockenen Realisten.
Schauen wir mal. Vor langer Zeit las ich über den Besuch eines ausländischen Staatsgastes, man habe ihm die komplette Literatur zum deutschen Steuerrecht gezeigt:
1 Raum, 3 Wände mit Regalen, alle Regale voll mit Büchern und Ordnern. Der Gast war wohl perplex und merkte an, dass in seinem Land das gesamte Steuerrecht 1,3 m auf einem Regalbrett misst. Warum erzähle ich das?
In deutschen Amtsstuben hat man mittlerweile mit dem eigenen aufgeblasenen Regelwerk zu kämpfen. Der Output ist deshalb dürftig, einfachste Vorgänge dauern Wochen und Monate, und dann liefert man auch noch Planungsfehler ab. Es herrscht Vollbeschäftigung, und neue Projekte würden den Apparat überlasten. (Das ist nicht ironisch gemeint!) Man handelt also, was dem eigenen Haus nutzt, und nicht, was dem Bürger nutzt. Und man unterlässt, was der Wirtschaft schadet, und der Schaden ist schon eingetreten, wenn die Wirtschaft beginnt, über geplante Massnahmen zu pöbeln.
Zum Abwimmeln hat man die wirksame Killerphrase zur Hand: Kein Budget!
Lange Rede, kurzer Sinn: Auf Appelle reagiert man nicht. Es muss massiver Druck aufgebaut werden. Sonst wirds nix.
Hallo Roland, danke für deinen Kommentar. Ich weiß wovon du sprichst. Ich bin lieber Idealist mit Leidenschaft als Pessimist mit schlechter Laune. Andernorts gelingt es ja besser als hier. Und vielleicht hilft dann doch das Ausrufen des Klimanotstands, um das selbst erschaffene Regelwerkmammut kurzfristig zu betäuben? Es wäre toll, wenn hier noch mehr Menschen unterschreiben, um den Druck aufzubauen und am 20.9. auf die Straße gehen. Schönen Tag, Christine