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„City of Solutions“ ausgebremst

Die neue Fahrradsaison in Hamburg steckt in den Startlöchern und alles könnte so schön sein, wenn nicht gerade neue, eher erbärmliche Zahlen vom Senat genannt werden würden. So wurden im Jahr 2017 gerade mal auf 30 Kilometern Länge neue Fahrradinfrastruktur angelegt, der Großteil davon natürlich nur als Schutz- bzw. Fahrradstreifen auf den Fahrbahnen für den motorisierten Verkehr selbst. Nun sollen sich Hamburgs Radfahrende also über neue gut 9 Kilometer „richtige“ Radwege sowie 12,3 Kilometer Radfahrstreifen freuen, dürfen auf weiteren knickerigen 3,7 Km Schutzstreifen dicht und im Abgasnebel von Autos und LKWs in die Pedalen treten und müssen dankbar für 2,1 Kilometer neue Fahrradstraßen sein, auf denen sie, speziell in Hamburg zumindest eher theoretisch, Vorrang genießen. Um zu verstehen, worum genau es geht, erklärt das Abendblatt auch gleich ausführlich die Art der Linien, die nun auf die Straßen gepinselt wurden – hier gestrichelt, dort durchgehend. Dass diese Streifen für Radfahrende in beiden Varianten nicht taugen, um Hamburg zu einer guten Fahrradstadt zu machen, wird besser gleich gar nicht erwähnt.

Mit den Ergebnissen, die der Grüne Bürgerschaftsabgeordnete und verkehrspolitische Sprecher Martin Bill in einer Senatsanfrage erhielt, wird sichtbar, dass auch das Ziel, jährlich 50 Km Radwege in Hamburg zu erneuern, nichts taugt. Von den Velorouten, die bis 2020 rundum erneuert sein sollten, ganz zu schweigen. Handlungsbedarf wurde nun für 150 Kilometer entdeckt, davon wurden im letzten Jahr gerade 7,2 Kilometer angefasst. Geht’s noch magerer? Taugt da überhaupt noch etwas? Heike Sudmann, verkehrspolitische Sprecherin von DIE LINKE in Hamburg, bringt es auf den Punkt: „Da ist echt die Luft aus den Reifen der vermeintlichen Fahrradstadt Hamburg“ (Abendblattartikel „Hamburg baut Radwege langsamer als geplant“, taz hamburg Kommentar „Planungsstau schöngeredet“, beides 21.3.2018“ sowie Antwort des Senats zu „Jahresbilanz Radverkehr Hamburg 2017“).

Da nützt es nichts, wenn Martin Bill noch beschönigend hinterherschiebt, dass man insgesamt auf einem guten Weg sei und die Umsetzung auch aufgrund aufwendiger Planungszeiten nicht immer so gelinge, wie man es sich wünsche.

Vielleicht sollte man sich zum Vergleich einfach mal anschauen, was in der gleichen Zeit alles so für den Autoverkehr getan wird. Auch hier hat man sich ein Ziel gesetzt und möchte jährlich 100 Kilometer Fahrbahnen erneuern. Seit 2014 wird dieses Ziel sogar übertroffen (175 – 120 Kilometer je letzte Jahre) und auch für das letzte Jahr sieht es laut einer Senatsantwort an die Bürgerschaftsabgeordneten Martina Koeppen und Andreas Dressel, beide SPD, gut aus. Der Homepage des Harburger SPD Bürgerschaftsabgeordneten Matthias Czech nach standen Hamburg in den Jahren 2016 und 2017 dafür jeweils gut 100 Millionen Euro zur Verfügung. Er verweist aber darauf, dass darin enthalten oftmals auch Verbesserungen für Rad- und Fußverkehr seien, die ebenfalls profitieren würden und nannte als Beispiel die barrierefreie Gestaltung von Kreuzungen. Was genau in welchem Umfang Rad- und Fußverkehr zugute kam und wie hier die Ergebnisse in Streckenlängen sind, ist den Antworten natürlich nicht zu entnehmen.

100 Millionen per Anno für den Kraftverkehr, schlappe 6,6 Millionen pro Jahr in dieser Legislaturperiode für den Radverkehr (siehe „Bündnis für den Radverkehr“, 33 Millionen für die Fahrradstadt) zeigen, wie ungleich noch immer die Prioritätensetzung ist. Änderung ist nicht in Sicht.

Nun, Radverkehr ist ja nicht alles.
Für eine wirkliche Wende im Verkehr braucht es mehr. Wenn alles gut läuft, kann sich Hamburgs grüner Umweltsenator damit brüsten, bald heldenhaft die ersten Dieselfahrverbote im ganzen Land einzuführen. Dann sollen, man glaubt es kaum, auf Teilen der Stresemannstraße und der Max Brauer Allee, beide in Altona, die ersten Dieselstinker verbannt, also in die Nebenstraßen geschickt werden („Die Straße der Sieger“, taz, 2. März 2018). Wenn sie das denn überhaupt tun müssen, weil alle schon am jammern sind, dass man aufgrund der vielen Ausnahmen und fehlender blauer Plakette an eine wirksame Kontrolle nicht mal im Traum denken könne.

Und wenn, nur mal angenommen, tatsächlich ein paar weniger Autos durch die Straßen dieseln, schickt die HOCHBAHN „Vision Air“ gleich neue Dieselbusse hinterher. Die sind zwar alle dufte Euro 6 Klasse und damit erste Dieselsahne. Im Bestand scheinen dann neben einigen Versuchs-E-, Hybrid- und Wasserstoffbussen etwa 400 Euro 5 und ähnlich viele Euro 6 Busse zu sein, womit Ende des Jahres die letzten richtigen Stinker (Euro 4) von den Straßen verschwinden. Im HOCHBAHN Blog wird erklärt, warum das angeblich so sein muss, untermalt es mit bunten Grafiken und klärt darüber auf, dass es noch immer keine serienmäßigen Elektrobusse gebe, auf die man zurückgreifen könne („Wieso wir mehr Dieselbusse kaufen, während alle von Dieselfahrverboten sprechen“, 28. Februar 2017). Aber, man sei ja dabei. Bald sollen die ersten 60 durch Hamburg rollen.

Wie es sein kann, dass das chinesische Shenzhen neulich schon ihre gesamte Busflotte, immerhin über 16.000 (!!!) Busse, auf Elektrobetrieb umrüsten konnte und warum all das in Hamburg mit seinen vergleichsweise miniaturhaften Beständen nicht gehen soll, schweigen sich HOCHBAHN, Hamburgs Grüne und die Behörde für Wirtschaft, Innovation (!) und Verkehr aus. Komischerweise sind dagegen die chinesischen Elektrobusse von BYD sogar auch in London, Norwegen und 200 weiteren Städten bereits weltweit im (Test)Einsatz. Ein Schelm, wer nun böses denkt und meint, man warte zunächst mal ein wenig ab, bis Benz und Co ihr Problem der vollen Rohre in den Griff bekommen haben… Stattdessen freuen wir uns auf autonome Minibusse und ähnliche futuristische Spielereien (vieles dazu findet sich in diesem Pamphlet), die Hamburg, „City of Solutions“, bis 2021, pünktlich zum Start des hier stattfindenden Weltverkehrskongresses ITS, in die ultramobile Zukunft katapultieren sollen und vor allem eines in der Mittelpunkt stellt: Die Technik – nicht den Menschen.

An anderer Stelle tut sich dagegen sehr schnell etwas: Ex Bürgermeister Olaf Scholz hat Hamburg bereits den Rücken gekehrt und KURS FAHRRADSTADT gleich noch ein wenig Arbeit übrig gelassen. Unseren offenen Brief an ihn werden wir nun noch einmal überarbeiten müssen die vielen „…Herr Bürgermeister Scholz…“ Passagen durch eine direkte Anrede an den bald neuen Bürgermeister Peter Tschentscher und viele nur noch einfach gehaltene „….Herr Bürgermeister…“ Stellen ersetzen. Damit stellt sich KURS FAHRRADSTADT gleich ein wenig nachhaltiger auf – denn Handlungsbedarf gibt es mehr denn je. Über 2.200 UnterstützerInnen sehen es inzwischen genauso. Wir werden auf jeden Fall diese Kampagne für eine radikale Verkehrswende weiter laufen lassen und Unterschriften sammeln. Solltest du noch nicht unterschrieben haben, kannst du es hier und jetzt sehr gerne ändern.

Von Olaf Scholz haben wir jedenfalls bis heute keine Reaktion auf KURS FAHRRADSTADT erhalten. Das haben wir zwar auch nicht erwartet, aber es hätte ja sein können. Schade.

Viel mehr verwundert darf man jedoch nun darüber sein, seit dem Weggang des Tram-Allergikers Scholz von den Grünen das Wörtchen „Straßenbahn“ noch nicht wieder gehört zu haben.

Warum eigentlich nicht, dachte ich, als ich vor wenigen Tagen die Gelegenheit hatte, in Zürich ganz neue Trolleybusse zu sehen („Luxus-Abos für Zug und E-Bike„, Süddeutsche Zeitung, 22. Februar 2018). Erst dachte ich, es wären dieselben Vanhools, diese extralangen XXL Busse, wie sie auch die HOCHBAHN auf der Linie 5 einsetzt. Aber dann sah man hinten die Stromabnehmer. Liebe Grüne, ist Hamburg zu cool dafür, wenn schon (zunächst?) keine leistungsfähige Straßenbahn wieder einzuführen, dann doch wenigstens TROLLEYbusse einzusetzen? Dafür braucht es nur die Oberleitungen, keine Schienen. Die könnte man später dann immer noch bauen.

Stattdessen sickern Meldungen durch, dass die neue U5 womöglich doch nicht über Lokstedts großen Siemersplatz geführt wird, sondern lieber vorher schräg zu den Arenen führt. Ist billiger. Wahrscheinlich aber auch wieder „nur“ die Hälfte von dem, was eigentlich getan werden müsste. Und wie viel Sinn macht es, dauerhaft eine neue, teure U-Bahn durch bzw. nah an Eimsbüttel zu führen, welches mit der U2 schon recht gut gesegnet ist?

Es gibt viele Gründe, warum die Verkehrswende in Hamburg gefühlt einfach nicht so richtig ins Rollen kommen kann. Oder besser vielleicht, gar nicht erst wirklich anrollen soll. Da ist die Politik, die mutlos ist, keinen Plan und schon gar keine Visionen für eine lebenswerte Stadt hat. Da sind die Bürgerinnen und Bürger, die am liebsten keine Veränderungen wollen, schon gar nicht den Wegfall von Parkplätzen vor der eigenen Haustür. Doch das ist nicht alles. Auch wir, die Hamburger Initiativen, welche viel Herzblut und Arbeit für eine Wende investieren, die sich einsetzen für Fußgänger und Radfahrer, für ÖPNV, Umwelt und Natur, sollten uns an unsere eigene Nase fassen: Besonders in letzter Zeit poppen viele neue Akteure und Inis auf, was wir begrüßen und wogegen nichts einzuwenden ist. Trotzdem beobachten wir, wie dabei immer wieder von vorne begonnen wird, immer wieder neu angefangen wird. Von einem kraftvollen, gemeinsamen Auftritt bzw. Zusammenschluss, von einem Erfolgsmodell á la Volksentscheid Fahrrad in Berlin ist Hamburg dadurch meilenweit entfernt. Damit einher geht aber auch das eher mäßige Interesse der hiesigen Medien, sich des so wichtigen Themas verstärkt anzunehmen. Das sollten wir schnellstens ändern.

KURS FAHRRADSTADT steht allen offen, die in Hamburg wirklich etwas bewegen wollen. Wir freuen uns daher über alle, die Lust haben, sich einzubringen und mitzumachen. Genauso freuen wir uns über alle anderen Initiativen und Vereine oder Firmen, die bereit sind, uns zu unterstützen. Mehr Infos dazu findet ihr hier:
https://kursfahrradstadt.wordpress.com/mitmachen/

Zuletzt noch einmal kurz zurück in die triste Wirklichkeit auf unseren Straßen.
Null verkehrs- bzw. stadtplanerische Visionen sind derzeit in Altona zu erkennen (siehe „Fahrradstadt verdaddelt“). Obwohl mit der neuen Mitte Altona, mit dem bevorstehenden bzw. demnächst beginnenden Umbauten von Max Brauer Allee und Elbchaussee beste Chancen vorhanden wären, neue Wege zu denken, wird weiter gewurschtelt, wie es bisher immer gewesen ist. Keine neuen Flaniermeilen Richtung Bahnhof Altona, Rathaus und Elbe, keine Radwegverbindungen zum neu geplanten Fernbahnhof am Diebsteich, die zur Abwechslung mal innovativ sind, keine gut gemachte Fahrradstraße auf der Elbchaussee, womit Hamburg auch international zeigen könnte, dass neuer Wind durch die Stadt weht. Nichts von all dem. Die Stadt ganz einfach nur ein wenig humaner, lebenswerter und freundlicher zu gestalten, bleibt in Hamburg, trotz grüner Regierungsbeteiligung, offenbar nicht realisierbares Hexenwerk.

In Barmbek sieht es nicht anders aus. Der Ring 2 wird demnächst umgebaut, fast alle, außer ein paar Autofahrende, sollen wie selbstverständlich weitere Einbußen und Nachteile in Kauf nehmen. Der Initiative „Lebenswerte Habichtstraße“ stinkt es ganz gewaltig. Darum ruft sie, unterstützt von Greenpeace, dem Seniorenbeirat Nord, VCD, adfc und vielen weiteren Akteuren, für den kommenden Sonntag, 25. März, von 15:00 bis 18:00 Uhr zur Demo an der Habichtstraße, zwischen Meisen- und Bramfelder Straße auf.

KURS FAHRRADSTADT ist auch dabei.
Sehen wir uns dort?

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