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„Heute die geilste Straße der Welt!“


Eimsbüttel meets Superbüttel

Was wir wollten, war groß:
Deshalb rief KURS FAHRRADSTADT am vergangenen Freitag zum „Mobilitätslabor-reclaim-the-streets-Nachbarschaftsfest“ ‚Eimsbüttel meets Superbüttel‘ auf. Die meisten werden davon noch nichts oder erst hinterher aus den Medien erfahren haben. Liebend gerne hätten wir alle interessierten Hamburger:innen eingeladen. Das konnten wir aufgrund der Corona-Pandemie und damit einhergehenden Hygiene-Auflagen nicht machen. Wir haben daher ausschließlich lokal für das Happening geworben, rund 300 Aushänge vor Ort gemacht und die Presse gebeten, erst im Nachgang zu berichten.

Das ist der Grund, weshalb ‚Eimsbüttel meets Superbüttel‘ klein aber fein über die Bühne gehen konnte. Wie erhofft, kamen die Menschen, die im Superbüttel wohnen auf die Straße; blauer Himmel und Sonne satt wie bestellt dazu. Und das ausgerechnet an einem Freitag, den 13.! Wir laden wir euch nachträglich ein die Rellinger Straße -stellvertretend für viele andere Straßen in Hamburg- einmal mit anderen Augen zu sehen.

(Ab)schleppender Start

Kurz vor 7:00 Uhr am Morgen begann ,Eimsbüttel meets Superbüttel‘ wie jeden Morgen: Alles ist zugeparkt. Dabei wollten wir extra früh loslegen, denn der erste Effekt des Tages sollte ein sicherer Schulweg für die Kinder sein.

Obwohl die Halteverbotsschilder bereits seit einer Woche standen und Aushänge in allen Haustüren hingen, blieben -nachdem erste Anwohner:innen ihre Autos umgestellt hatten – noch immer rund zehn Fahrzeuge auf „ihren“ Plätzen. Leider mussten wir deshalb die Polizei bemühen. Die Schulkinder standen sie staunend auf dem Gehweg vor der Schule und beobachteten wie sich durch drei Abschlepper innerhalb von etwa zwanzig Minuten die Straße leerte. Zeitgleich wurden die Absperrungen errichtet. Rund 80 Meter der Rellinger Straße, zwischen den Einmündungen von Grädener Straße und Spengelweg waren nun autofrei; ganz genau so, wie wir es im Konzept von Superbüttel vorgeschlagen haben.

Das neueste, eintägige Mobilitätslabor von KURS FAHRRADSTADT ging an den Start.

Unterricht auf der Straße

Wie anders alles sein kann, wenn der Raum vor der Schule plötzlich frei ist, konnten die Kinder im Laufe des Vormittags erleben. Der Schulhausmeister hatte das Geländer am Gehweg geöffnet, welches sonst die Autos vom Eingang fernhält. Eine Lerngruppe nach der anderen kam durch das Schultor und direkt auf die Straße spaziert. Es ist erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit sich die Kinder den neuen Raum aneigneten, fast so, als hätten sie nur auf diesen Moment gewartet oder als wäre es nie anders gewesen. Wie auf dem Schulhof blieben die Klassen aufgrund der Pandemie in unterschiedlichen Bereichen und begannen zu spielen, zu sporteln, zu malen oder sogar konzentriert in ihrer Unterrichtszeit an ihren Aufgaben zu arbeiten. Wie in unserer Vision vom neuen Vorplatz stand eine Schulbank vor der Schule, die rege in Beschlag genommen wurde. Großes Interesse zeigten die Schüler:innen auch an der Superbüttel-Infowand, auf der ein Überblick über die Hintergründe des Projekts sowie der Superbüttel-Straßenplan zu sehen waren. „Relli-Radio“, ein Radioprojekt der Schule, schickte junge Journalist:innen, um uns Löcher in den Bauch zu fragen. Für uns ein ganz klares Signal: Kinder müssen unbedingt einbezogen werden, wenn es um die Umgestaltung von Straßen geht! Die Kleinen mal die Größten sein zu lassen; das ist, was viel zu oft fehlt, wenn Räume gestaltet werden, in denen sie sich aufhalten.

An die Schule Rellinger Straße und ihre Lerngruppen geht unser ausdrücklicher Dank! Toll, dass so viele Klassen das Superbüttel-Feeling erleben konnten! Es war uns eine Riesenfreude das emsige Gewusel der Relli-Kinder zu beobachten! Die Krönung ist es, wenn man aufschnappt, was ein Schüler zu seinem Klassenkameraden sagte: „Das ist heute die geilste Straße der Welt!“

Hoffentlich bald für immer!

Während die Schule auf der Straße stattfand, hatten einige von uns die letzten Dinge organisiert und aufgebaut. Nun konnte auch der „offizielle Teil“ der Straßeneroberung beginnen. Ab mittags gab es ein buntes Programm, mit dem die Straße zusätzlich erleb- und einmal anders erfahrbar gemacht wurde. Pünktlich nach Schulschluss starteten wir mit dem ersten, ganz frisch ins Programm gehievten Event.

Polit-Talk auf der Relli

Der Bundestagskandidat Till Steffen von den Grünen Eimsbüttel hatte sein Kommen angekündigt. Wir nahmen das zum Anlass zum Polit-Talk auf der Superbüttel-Fläche einzuladen und freuten uns sehr, dass auch CDU, SPD und LINKE Eimsbüttel kamen.

Die erste Frage war ganz banal: „Nach Flutkatastrophe, Erdrutschen, Waldbränden quer über den Kontinent und darüber hinaus: nachdem der neue IPCC Bericht des Weltklimarats gerade erst vorgestellt wurde, der dringender denn je anmahnt, unverzüglich mit voller Tatkraft loszulegen, schauen wir nun auf dieses kleine Superbüttel, welches wir explizit auch aus Klimaschutzgründen fordern. Gegen die scheinbar unlösbaren globalen Probleme, die internationale Lösungen fordern, dürften unsere Forderungen für das Superbüttel leicht umsetzbar sein. Wann also kommt das Superbüttel?“

Es entspann sich eine beinahe eine Stunde dauernde Debatte auf der Straße, natürlich nicht ganz frei von Wahlkampfrethorik, in der sich im groben zwei Dinge festhalten ließen:

1.) Alle Parteien begrüßen das Superbüttel grundsätzlich.
2.) Wie es nun konkret in die Umsetzung geht blieb für uns vage.

Ein wenig mehr Klarheit dagegen bringen erste konkrete „Superbüttel-Anträge“, die Grüne / CDU (Bezirksregierungskoalition) sowie die Opposition SPD am kommenden Donnerstag, 26. August, in die Bezirksversammlung Eimsbüttel einbringen und über die dann abgestimmt werden soll. Gleich fünfmal wird KURS FAHRRADSTADT / Superbüttel darin namentlich genannt.

Antrag Grüne / CDU
(Öffentliche Räume für Menschen: Pragmatisches Vorgehen bei der Umnutzung von Straßenraum ab Sommer 2021)

Antrag SPD 1
(Aufenthaltsqualität im Quartier Lappenbergsallee/Langenfelder Damm erhöhen (I): Durchgangsverkehr minimieren, Verkehr beruhigen)
Antrag SPD 2
(Aufenthaltsqualität im Quartier Lappenbergsallee/Langenfelder Damm erhöhen (II): Bürgerinnen und Bürger umfassend beteiligen)
Antrag SPD 3
(Aufenthaltsqualität im Quartier Lappenbergsallee/Langenfelder Damm erhöhen (III): Hammonia-Platz umgestalten)

Wir begrüßen diese erfreuliche Entwicklung ausdrücklich! KURSFAHRRADSTADT geht darum heute (20. August) mit einer Pressemeldung an die Öffentlichkeit.

Es bleibt also spannend mit der Frage „Wann kommt Superbüttel?“

Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen Politiker:innen für ihre Zeit und Geduld um mit uns und den interessierten Menschen aus der Nachbarschaft über das Superbüttel zu diskutieren und freuen uns auf konkrete Maßnahmen.

Wir waren nicht allein

Zusammen mit uns bauten auch die Elterninitiative vierer Grundschulen in Eimsbüttel ihren Infostand zum „Roten Teppich für Schulkinder“ auf und rollten einen solchen über viele Meter vor der Schule aus. Ebenso informierte der Elternrat der Relli über die neun „Schulexpress-Haltestellen“, die den Kindern einen sicheren Schulweg ermöglichen sollen, wenn die Relli nach den Herbstferien wegen Sanierung in die Telemannstraße umzieht.

Mit von der Partie waren auch Maël, Lyonel und Florian, von der neu gegründeten Initiative „Die vergessenen Gärten“. Die Kinder führen ein Klimatagebuch und haben in einem Projekt herausgefunden, dass es in der Armbruststraße früher viele kleine Gärten gab. Für unterschiedliche Orte im Quartier stellen sie auf ihrem Blog künstlerisch gestaltete Lösungen vor. Zum Beispiel Radwege mit dem Bunten Band Eimsbüttel (das kürzlich den Hanse-Umweltpreis des NABU gewonnen hat) zu verknüpfen und so Schulwege wieder sicherer zu machen. Interessierte konnten eine Führung durch das Quartier machen und am Stand der vergessenen Gärten Stempel und Samenbomben basteln.

Immer wieder kamen an den Superbüttel-Infostand Menschen zu uns, die sich informieren wollten. Wir konnten dort anhand unserer groß ausgedruckten  Pläne unsere Vorschläge für eine zukünftige Verkehrsführung  erläutern und uns den Fragen stellen, sowie auch kritisch diskutieren. Ebenfalls am Stand war Kai Zimmermann von CITIES FOR FUTURE, dessen Agentur die Ideen der visuellen Gestaltung der Rellinger Straße vor der Schule sowie den „Hammonia-Platz“ an der Kreuzung Lappenbergsallee / Langenfelder Damm / Methfesselstraße erarbeitet hat. Mit Witz und jeder Menge Know-how, auch über unser großes Vorbild Barcelona, fanden gute Unterhaltungen mit den Anwohner:innen statt.

reclaim the streets!

Am Nachmittag baute die SUBVERT Skate-School einen spannenden Parcours auf der Relli auf. Die Kinder konnten es kaum erwarten, mit Balance-Boards ihr Gleichgewicht zu testen, mit Kickrollern über eine Rampen-Piste zu fahren und dabei im Inneren eines Anhängers die Kurve wieder nach draußen zu meistern. Die Mutigen, auch einige Erwachsene unter ihnen, trauten sich am Ende auf die Skateboards. Ein Riesen-Dank an Volker Lux und sein Team, die ganz sicher für viele Kids das absolute Highlight geschaffen haben! Während am hinteren Ende der Superbüttel-Fläche munter geskatet wurde, ging es am vorderen Ende gemächlicher zu: Erwachsene chillten in Liegestühlen oder die grüne Relax-Insel mitten auf der Fahrbahn.

Neben skaten, rollern, inlinern wurde natürlich weiter gemalt, was die Kreide hergab. Es flogen Frisbees und Diabolos durch die Luft, hüpften Kinder über Seile und in Säcken und ließen Riesen-Seifenblasen in den Himmel steigen. Für einen autofreien Bereich vor der Schule braucht man sich keine Gedanken machen: dort wird immer was los sein.
„Läuft schon!“ trifft es wohl besten.

Ein wenig ruhiger – aber nicht unsportlicher – ging es ab 18:00 Uhr beim Outdoor-Yoga zu. Die Yoga-Lehrerin Nadeen Mirza leitete einen Workshop für rund 20 Leute von Groß bis Klein. Sogar vom Balkon im zweiten Stock wurde versucht, die wendigen Bewegungen nachzumachen. Auch Nadeen gebührt unser herzliches Dankeschön!

Büttel-Dinner im Superbüttel

Mit der Yogasession wurde es langsam ruhiger auf der Straße. Den Abschluss des Tages bildete das „Büttel-Dinner“. Alle waren aufgerufen mit Tischen, Stühlen und Abendbrot auf die Straße zu kommen, um gemeinsam Nachbarschaft zu erleben und den Tag beim Essen ausklingen zu lassen. Nach und nach kamen Anwohner:innen „runter“ und machten es sich bequem auf der Relli. Die Zweitklässlerin Emilie antwortete nach kurzem Überlegen auf die Frage, was ihr heute am besten gefallen hatte:
„Das Büttel-Dinner!“
„Warum? Weil es Pizza gab?“
„Nee. Weil es einfach so schön war, mit so vielen anderen Menschen draußen gemeinsam auf der Straße was zu essen.“

Eimsbüttel meets Superbüttel

Noch immer ließen sich die Menschen ihr Essen auf dem Büttel-Dinner schmecken, als wir gegen 21:00 Uhr langsam begannen abzubauen. Die Anwohner wollten “Ihre” Straße aber nicht wieder hergeben und drehten die Musik noch einmal etwas lauter. Einige tanzten mit letzter Kraft spontan zusammen auf der Straße. Um 22:00 Uhr endete die Veranstaltung. Die Kleinen waren müde und ausgepowered. Und wir waren glücklich und rundum zufrieden. So viele Leute kamen heute zu uns und bedankten sich für die Aktion.

Wiederum die Kleinsten waren direkt:

„Morgen ist auch noch Straßenfest oder?“ (nein)

„Aber nächsten Freitag wieder?“ (leider nein)

„Dann ist es ja erst wieder am 13. August im nächsten Jahr!“ (da dann hoffentlich schon dauerhaft)

Mehrere Zweitklässler:innen wollen mit den Lehrer:innen aufschreiben warum der Tag so toll war und „dann gehen wir zu Tschentscher, die ganze Schule geht ins Rathaus!“

Einer der Erwachsenen meinte: “Das erinnert mich total an meine Kindheit. Alle waren draußen bis die Rufe aus den Häusern kamen, dass es Abendbrot gibt – Zeit hochzugehen.”

Gegen kurz vor elf brachten wir die allerletzten Reste des Fests wieder nach Hause. Zuvor schoben wir die Straßensperren beiseite. Noch stand kein Auto auf der Fläche, auf der bis eben noch gefeiert wurde. Noch nie hatten wir die Straße hier so leer wie in diesem Moment erlebt. Bald werden die ersten Autos wieder über den Asphalt rollen, auf dem bis eben die Nachbarn einen wunderbaren Abend erlebten; bald werden Blech, dunkle Reifen und Auspuffrohre bunt gemalte Bilder der Kinder überdecken und nichts erinnert mehr an diesen fantastischen Tag im Superbüttel.

Übrigens ein Tag, an dem die nicht vorhandenen Parkplätze nicht zum Aufreger wurden.


Danke!

An die Polizei und das Bezirksamt Eimsbüttel für die freundliche Unterstützung bei Fragen und während des Genehmigungsprozesses.

Der Schule Rellinger Straße für das tolle Beleben der Straße!

Den Politiker:innen für ihr Kommen

Danke an die LINKE Eimsbüttel für die freundliche Leihgabe der Soundanlage

Danke an Hamburg1, noa4 TV und Eimsbütteler Nachrichten, die berichteten – hier zur Medienseite

Danke an die Subvert Skate School

Danke Nadeen Mirza

Danke an die vielen Kinder, die mit ihrem Spiel stilsicher aus der Straße einen Ort der Lebensfreude und Begegnung geschaffen haben.

Danke an die Anwohner:innen und Menschen aus der Nachbarschaft,

die sich vom Superbüttel-Gedanken inspirieren ließen und mit uns diskutierten.

Danke dafür, dass wir die Menschen im Superbüttel heute einmal in den Mittelpunkt stellen durften.

Hier Petition auf change.org unterzeichnen. Wir sind bald 10.000!


In der Nacht nach dem Fest kam es leider zu Brandanschlägen auf Autos.
Seht hier unsere Stellungnahme „not in our name“ dazu.


>> hier geht’s ins Superbüttel >>

3 Antworten auf „„Heute die geilste Straße der Welt!““

Herzlichen Glückwunsch aus Bremen – weiterhin viel Mut und Lust an der Unternehmung und viel Erfolg! Das wird noch etwas dauern ….

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