„*dooong* Nächster Halt: Elbbrücken“.
So ungewohnt klingt es aus den Lautsprechern, als sich die Bahn an der Hafencity Universität in Bewegung setzt und Fahrt aufnimmt Richtung Hamburgs jüngstens Kind im U-Bahn-Netz. Nach einigen Hundert Metern durch den Tunnel geht es in einer geschwungenen Kurve nach Süden nicht nur ans Tageslicht, sondern über eine Rampe gleichzeitig und parallel zur „Stelzenbahn“ der neuen Station entgegen. Kurz später endet die Fahrt in einer futuristisch anmutenden Stahl- und Glaskonstruktion, die nicht nur auf dem gleichen Höhenlevel wie die nebenan beginnenden echten Elbbrücken liegt. Wer hier aussteigt und den Bahnhof verlässt, findet sich mitten im Nirgendwo wieder: Drumherum nur Brachland, Bauland, unwirtliche wirkende Straßen. Das wird sich ändern in den nächsten Jahren. Was nun noch wie ein Ufo daherkommt, welches sich im Ziel ein wenig vertan haben muss, wird bald inmitten des neuen Quartiers Elbbrücken liegen, zu Füßen des geplanten knapp 250 Meter Hohen Wolkenkratzers Elbtower. Gehen wir wieder hinein in die neue Station – Hamburg und Hochbahn feiern das neue, schmucke, dieser Tage ganz in Stahlblau bestrahlte Stück – gewiss nicht ganz zu unrecht. Und dennoch: Wer von oben, dem Übergangssteg kurz unter dem geschwungenem Dach über die Gleise zur Elbe schaut, dem drängt sich angesichts des fast schon zu symbolisch wirkenden Bildes, das da zu sehen ist – das Ende der Schienen, Prellblöcke und der unüberwindbare Strom dahinter – nur eine Frage auf: Wo bleibt der Anschluss?
In diesem letzten Beitrag von KURS FAHRRADSTADT in diesem Jahr wollen wir dieser symptomatischen Frage – Wo bleibt der Anschluss? – nachgehen. An der neuen Haltestelle Elbbrücken wird er sicherlich bald kommen, denn gegenüber auf dem anderen Ufer, auf dem kleinen Garsbrook, soll das nächste große städtebauliche Projekt beginnen. Wenn alles gut läuft, wird damit, wenigstens das, der langersehnte „Sprung über die Elbe“ endlich gelingen. Ob aber die Chancen genutzt werden, die sich der Stadt (nicht nur) dort bieten, steht leider auf einem anderem Blatt. Und, auch dies muss gesagt werden, angesichts vieler anderer Dinge, bei denen Hamburg den Anschluss zu verlieren droht oder ihn bereits verpasst hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass nachhaltige und sinnvolle Lösungen auch umgesetzt werden, bei der bisherigen Politik nicht unbedingt sehr hoch.
Da wäre zunächst die traurige Nachricht, dass in Hamburg, obwohl sich die Stadt redlich bemüht, „Fahrradstadt“ zu werden, die Unfälle mit Radfahrenden wieder erhöhen. Von 2.640 verunglückten Radfahrenden kamen dabei in den ersten neun Monaten dieses Jahres 1.985 zu Schaden, 171 von ihnen verletzten sich schwer und 2 ließen ihr Leben auf den Straßen. Das ist die höchste Zahl seit 2011, um satte 8,2% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum legten die Fahrradunfälle mit Verletzten zu. Der Senat verweist darauf, dass diese Zahlen zwar nur vorläufig und nicht vergleichbar seien, allein schon darum, weil die Anzahl der Radfahrenden dank des Supersommers um ganze 20% zugelegt hätten. Nachdenklich sollte es jedoch schon stimmen, denn ist nicht „Safety in Numbers“, dass heisst, je mehr Radfahrer auf den Straßen unterwegs sind, desto höher automatisch die Sicherheit, unter Experten eine mittlerweile anerkannte Annahme? Wer zudem zur Kenntnis nimmt, dass vor allem in der letzten Zeit sehr viele Radweg-Führungen in den Autoverkehr auf die Straßen verlegt wurden, darf da durchaus zu dem mulmigen Gefühl kommen, dass irgendetwas an der Sache nicht stimmen kann. Die Antwort auf eine kleine Anfrage legt zudem offen, wie viele Fahrradunfälle in den ersten drei Monaten 2018 auf welcher Art von Radverkehrsanlage stattfanden – also ob auf baulich getrennten Radwegen, auf Gemeinsamen Geh- und Fußwegen oder eben auf Fahrrad- und Schutzstreifen auf den Fahrbahnen. In bis auf einem Bezirk sind die Unfallzahlen auf letztgenannter Art (Fahrrad- und „Schutz“streifen) signifikant gestiegen – hamburgweit von 186 auf 317 Fälle. Vor allem, weil wohl noch die meisten Radwege nicht auf den Fahrbahnen, sondern daneben verlaufen, gab es hier auch deutlich mehr Unfälle. Dazu meint der Senat, dass diese Zahlen keine Rückschlüsse auf die Häufigkeit der Unfälle auf den verschiedenen Radwegvarianten erlauben – aber, wir finden, dass jeder Unfall, der auf Fahrrad- und Schutzstreifen passiert, recht einfach vermeidbar wäre, wenn Radwege gleich anders angelegt und der Sicherheit ein ganz anderer Stellenwert zugestanden wird. Wenn schon ein Unfall, dann bitte nicht da, wo Busse, LKW und PKW entlangbrettern. Alle Daten können hier in den Antworten des Senats auf eine kleine CDU Anfrage eingesehen werden. Erschreckende Zahlen erreichen übrigens auch die Unfälle mit den Kleinsten: Auf 570 verunglückte Kinder ist die Zahl gestiegen, ein Plus von untragbaren 15% zum Vorjahreszeitraum. Diese Zahlen schreien zum Himmel!
Und, was hatte der letzte Fahrradkimatest des adfc 2016 für Hamburg ergeben? Mieseste Ergebnisse, einen der allerletzten Plätze im Städteranking, Platz 31 von 39 und keine nennenswerte Verbesserung zum Test zwei Jahre zuvor. Hauptkritikpunkt war nicht von ungefähr die Sicherheit beim Radfahren – für die kassierte die Stadt ’ne glatte 5. Siehe „Butter bei die Fische – liebe Grüne und adfc Hamburg“.
In Kopenhagen steigt dagegen die Zufriedenheit in Sachen Sicherheitsgefühl bei Radfahrenden auf neu eingerichteten, vom übrigen Kraftverkehr getrennten Radwegen, um bis zu 100%! (Copenhagen City of Cyclists Facts and Figures 2017, Seite 3). Jemand, der es ganz genau wissen muss, ist Morten Kabell von Copenhagenize und ehemaliger Umweltbürgermeister von Kopenhagen, der wesentlich mit dazu beitrug, dass sich diese Ostseemetropole zum Fahrradparadies gewandelt hat. In der aktuellen „Radcity“ des Hamburger adfc’s sagt er: „Ganz ehrlich, ich hasse es, in deutschen Städten mit dem Rad zu fahren, weil man da auf einer Straße mit den Autos ist, aber ich hasse es auch, dort zu Fuß zu gehen, weil ich mich dabei unsicher fühle und ich immer über die Schulter schauen muss, ob mir gerade ein Fahrradfahrer reinfährt. Wer will da schon seine Kinder alleine zur Schule schicken? Fühlt man sich als etwas schwache, ältere Person so sicher? Die Antwort lautet: Auf keinen Fall.“ Ach ja, einen Tipp für Hamburg hat er auch parat: („So geht Fahrradstadt!“ RadCity 6/2018).
Die 3 wichtigsten Gründe für ein gutes Fahrradklima sind Infrastruktur, Infrastruktur und Infrastruktur! (Morten Kabell)
Bevor wir uns einem anderen Themen widmen, blicken wir noch einmal kurz auf’s spanische Sevilla. Denn diese Stadt ist vor einigen Jahren schon Fahrradstadt geworden. Um es kurz zu machen: Der Bürgermeister startete eine Umfrage. ‚Denken Sie, dass eine Fahrrad-Infrastruktur gut wäre für Sevilla?‘ Er bekam ein erstaunliches Ergebnis: 90 % der Befragten sagten ‚Ja‘. Damit war der Startschuss gefallen für ein 32 Millionen Euro Projekt, welches innerhalb nur einer einzigen Legislaturperiode umgesetzt wurde. 5.000 Parkplätze wurden zurückgebaut und gute, neue und baulich getrennte Radwege auf 80 Kilometer Länge angelegt. Heute kommt selbst die konservative Nachfolgeregierung angesichts des Erfolges nicht mehr auf die Idee, diesen begonnenen Weg zu verlassen. „Fahrradstadt Hamburg“ – abgehängt von Sevilla.
(„Sevilla – In Lichtgeschwindigkeit zur Fahrradstadt“, mon│da, 01.12.2018)
Ach ja, dass man mit dem Bau einer guten Fahrradstadt auch eher die eigenen Klimaschutzziele erreichen kann, dass die Luft sauberer wird, die Menschen gesünder und Hamburg jede Menge Geld damit sparen könnte – mehr noch – sogar welches verdienen könnte, hat sich zu den Pfeffersäcken im Rathaus offenbar noch immer nicht herumgesprochen.
Anschluss verpasst – nicht nur bei der Fahrradstadt, sondern auch der autofreien Innenstadt. Für Privatautos ist im Zentrum von Norwegens Hauptstadt Oslo ab 2019 Ende Gelände, denn die Innenstadt soll autofrei werden. Umfasst werden zunächst 6 recht nah beieinanderliegende Pilotprojekte, zur Zeit läuft bereits die begleitende Evaluierung. Gab es nicht gerade im Sommer auch in Hamburg viele Diskussionen um eine autofreie Innenstadt in den Medien? Äh, autofreie was bitte nochmal…?
Hamburg wächst, und darum werden neue Baugebiete ins Visier genommen. Wie schon vorhin erwähnt, wird sich demnächst im östlichen Ende der Hafencity einiges tun, ebenso gegenüber auf dem Kleinen Grasbrook. Aber nicht nur dort, auch anderswo sind die Pläne groß: So richtet die Stadt ihr Augenmerk stromaufwärts an Elbe und Bille, wo zwischen Rothenburgsort, der Horner Geest über Öjendorf, Mümmelmannsberg bis hin zum neuen Stadtteil Oberbillwerder im Osten quasi Hamburgs neue, schöne Zukunft entstehen soll. Es wäre mehr als wünschenswert, wenn diese neuen Quartiere tatsächlich als Quartiere der kurzen Wege und einem insgesamt nachhaltigen Konzept entwickelt und geplant werden – das betrifft bei Weitem nicht nur nur die Lösungen für neue Mobilität, sondern auch ein durchdachtes Klima-, Entsorgungs-, Energie- und Baukonzept. Denn es gibt kaum andere Bereiche, in denen Städte so viele eigene Möglichkeiten der Gestaltung haben wie den Bereich der Stadtentwicklung. Diese Chancen sollten genutzt und nicht vertan werden. Die bisher veröffentlichten Pläne, insbesondere von Oberbillwerder, sehen zunächst vielversprechend aus. So werden Freiräume geplant für die neuen Bewohnenden, die autofrei sind. Im Masterplan des neu zu bauenden Stadtteils (Seite 62) heißt es vollmundig, dass nicht irgendwelche Gebäude, sondern – man staune – der Mensch im Mittelpunkt stehen soll und weiter, dass das Ziel sein soll, alternative Mobilitätslösungen so auszubauen, dass am Ende nur noch 20% aller Wege der neuen Oberbillwerderer mit eigenen Autos (MIV) zurückgelegt werden sollen. Dann wird eine Reihe von Maßnahmen aufgelistet, wie dies erreicht werden soll. Vom Radfahren auf dem „grünen Loop“ bis zu Carsharing-Anreizen und nur noch 04, – 0,6 PKW Parkplätzen je Wohneinheit. Keine Frage, das hört sich alles super an.
Wer Hamburg kennt und sich mit der Thematik ein wenig befasst, sollte wissen, dass allzu große Hoffnungen auf vernünftige Ideen mit Vorsicht zu genießen sind.
So wurde in der bisherigen Hafencity der Radverkehr so gut wie vergessen, werden Straßen wie die Harkortstraße in der entstehenden Mitte Altona zu neuen „Hauptstraßen“, auf denen sich der MIV Verkehr laut städtischen Prognosen mal eben verdoppeln soll („Fahrradstadt versenkt“) und angeblich zukunftsweisende neue Carsharingangebote in gehypten „Firstmover!“ Pilotprojekten in Eimsbüttel und Ottensen gleichen eher einem Flop, weil viel zu halbherzig umgesetzt wird, was in ganz anderen Dimensionen geschehen müsste. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Leider.
Wie so oft, gibt es da aber an anderer Stelle etwas in der Welt, was man sich mal anschauen sollte, zumindest als Hamburger Entscheidungsträger. In Stockholm, Schwedens Hauptstadt, entstand vor kurzem der komplett neue Stadtteil Hammarby Sjöstad. Leben am Wasser, Leben mit dem Wasser, vor allem aber wurde alles getan, um tatsächlich zu nachhaltigen Lösungen zu kommen. 80% aller Wege, die die Leute in Hammarby Sjöstad zurücklegen, sollten nicht mit dem eigenen Wagen zurückgelegt werden. Am Ende schrammte man knapp dran vorbei: 79% wurden tatsächlich erreicht. Der Autobesitz der neuen Stadtteilbewohner liegt satte 43% unter dem Durchschnitt von gesamt Stockholm und toppt sogar das grün- und ökoorientierte nahe Sundbyberg, denn Hammarby liegt selbst hier noch 25% darunter. Kein Bewohnender muss weiter als 300 Meter zur nächsten Haltestelle des gut ausgebauten ÖPNV Systems gehen. All das, obwohl in Hammarby sogar 0,65% Parkplätze je Wohneinheit bereitgehalten werden – jedoch, und das ist wohl der große Unterschied, beziehen sich diese 0,65% auf alle zur Verfügung stehenden Parkflächen, d.h., öffentliche Stellplätze am Straßenrand sind hier schon inkludiert. (Sehr interessant sind die Erläuterungen und Grafiken in diesem PDF aus „Cities for People in Practise“, ab Seite 12). Und – Hammarby Sjöstad liegt nur 3 Kilometer vom Stockholmer Zentrum entfernt, ist auch mit Straßenbahnen, Bussen und Fähren angebunden und zahlreichen Carsharingstationen ausgestattet. Oberbillwerder liegt 13 Kilometer vom Rathaus entfernt, angebunden nur mit einer Schnellbahnstation und vielleicht einigen Bushaltestellen. Da muss sich Hamburg schon megamäßig ins Zeug legen, damit aus Wunschtraum auch Wirklichkeit wird. Sonst heißt es wieder: Anschluss verpasst an Schweden….
Aber, wünschen kann man sich ja vieles, gerade zur Weihnachtszeit. Die Dänen sind in diesem Fach auch wieder ganz stark. Kopenhagen rüstet nämlich mächtig auf, nach der Fahrradstadt nimmt man in Angriff, die lebenswerteste Stadt zu werden. Heraus kommen dann neue Stadtteile wie Nordhavn, der sich zur Zeit im Bau befindet. Stöbert mal durch diese Seiten (Ladet euch unbedingt das „Strategie Buch“ herunter, den Link findet ihr dort!) – Hamburger Hafencity Bewohner sollten lieber die Finger davon lassen, wollen sie nicht pünktlich zum Fest vor Neid erblassen. Und das ist dann auch nur der kleine Vorgeschmack auf das, was schräg gegenüber von Nordhavn danach entstehen soll. Lynette Holmen (fertig in 2070!), ein Stadtteil, der mitten im Meer entstehen soll, kommt gleich mit eigenem Badestrand daher.
Ach Hamburg….
Anschluss gesucht gilt aber auch in eigener Sache:
Für das kommende Jahr haben wir uns von KURS FAHRRADSTADT wieder einige Dinge auf die Fahnen geschrieben, die wir gerne in Angriff nehmen wollen. Da wäre zum Einen eine Aktion an der Fahrradstraße Uferstraße am Eilbekkanal, wir haben da schon einige Ideen. Denn da geht mehr. Wie fast überall.
Zum Anderen wollen wir den Affront nicht auf uns sitzen lassen, mit dem Politik und der Landesbetrieb Verkehr sämtliche Hamburger Radfahrende kürzlich wieder vor den Kopf gestoßen haben.
Wir wollen zeigen, dass „Radwege wie Dänemark“ überall, auf beiden Seiten, durchgängig auf der Elbchaussee kein Hexenwerk ist, sondern ganz einfach geht.
Grob angepeilt haben wir die Aktion, die wir ab Januar planen wollen, für Februar. Und dann würden wir uns gerne mal wieder Eimsbüttel zuwenden und versuchen, für diesen Stadtteil einen Vorschlag zu erarbeiten, wie es gelingt, durch andere Verkehrsführungen das Quartier wieder lebenswerter zu bekommen. Viele Vorhaben, für die wir gerne alles geben, bei denen wir aber auch auf tatkräftige Unterstützung durch möglichst viele von euch angewiesen sind! Wer also Lust hat, diese Aktionen mit uns zu planen, möge sich bitte unbedingt melden bei uns: kursfahrradstadt@hamburg.de oder siehe unsere Rubrik „Mitmachen“.
Kürzlich wurden wir als Initiative gefragt, was wir uns für das neue Jahr am meisten wünschen würden. Schwierig, denn es gibt so vieles, was uns einfällt. Vielleicht dies: Dass ab 2019 die Zeit beginnt, ab der in Hamburg bei allen Um- und Neuplanungen von Straßen die Fahrrad-Infrastruktur so sicher und genial ist, dass es sofort ins Auge sticht. Und dass niemand mehr verletzt werden muss, nur weil man Fahrrad fährt. Wenn unsere PolitikerInnen dies endlich mal begreifen würden, das wär‘ ein Traum! Und bis dahin gilt, uns weiterzuempfehlen und fleißig weiter zu unterzeichnen!
Frohe Weihnachten euch allen und kommt gut und gesund ins neue Jahr!
Euer Team von KURS FAHRRADSTADT