KFHH Kundgebung Nr. 3, Eichenstraße/Schulweg,
Hamburg, 19. Mai 2018
Jedes Jahr sterben weltweit über 1 Million Menschen bei Verkehrsunfällen.
Für Menschen zwischen 15 und 29 Jahren sind Verkehrsunfälle die häufigste Todesart.
Der Straßenverkehr weltweit die neuntgrößte Todesursache. Bis zum Jahr 2030 wird der Anstieg des Fahrzeugbesitzes und -verbrauchs den Straßenverkehr zur fünftgrößten Todesursache machen und weltweit mehr Opfer fordern als AIDS und Tuberkulose.
Wir wissen, dass der Straßenverkehr eine tödliche und tägliche Bedrohung darstellt. Warum tun wir dann nicht mehr dagegen? Warum akzeptieren wir weiter die Todesfälle auf den Straßen? Manche mögen argumentieren, dass dies der Preis ist, den wir für Mobilität und Freiheit zahlen müssen. Das stimmt so aber nicht. Es kann keine moralische Rechtfertigung für den Tod einer einzigen Person geben. Sie alle sollten sich frei bewegen können – und sich gleichzeitig sicher fühlen und gut wieder nach Hause kommen. Darum geht es bei Vision Zero.
Vision Zero ist der schwedische Ansatz für die Sicherheit im Straßenverkehr. Es kann in einem Satz zusammengefasst werden: Kein Verlust von Leben ist akzeptabel. Der Ansatz der Vision Zero hat sich als sehr erfolgreich erwiesen. Es basiert auf der einfachen Tatsache, dass wir Menschen sind und Fehler machen. Das Straßensystem muss uns in Bewegung halten. Aber es muss auch so gestaltet sein, dass es uns bei jeder Gelegenheit schützt.
Selbstverständlich braucht es Mobilität, sie ist einer der wichtigsten Motoren für Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Problematisch ist jedoch, dass mehr Wirtschaftswachstum auch zu mehr Verkehr und damit zu Staus, Umweltverschmutzung, Klimawandel und nicht zuletzt Tod und schweren Verletzungen führen.
Unsere Straßensysteme basieren auf allen Faktoren, von denen seit langem bekannt ist, dass sie gefährlich sind. Sie ermöglichen es Fahrern, Risiken einzugehen, die weit über unsere menschlichen Fähigkeiten hinausgehen. Und unsere Straßensysteme haben eine unklare Verantwortungskette was zur Folge hat, dass oft genug die Opfer selbst noch dafür verantwortlich gemacht werden.
Beispiele dazu:
Unsere Körper unterliegen biomechanischen Toleranzgrenzen und sind einfach nicht dafür ausgelegt, mit hoher Geschwindigkeit zu fahren. Wir haben eine sehr natürliche Höhenangst, aber die Fähigkeit, die Geschwindigkeit zu beurteilen, fehlt uns. Wir brettern trotzdem noch immer mit 200 Sachen über deutsche Autobahnen – ganz legal.
Wir neigen auch dazu, abgelenkt zu sein. Musik im Radio, die Kippe, Handys, Navis, quakende Kinder oder Mücken lenken ab von dem, was vor einem auf der Straße passiert – und wir machen dumme Fehler. Der menschliche Faktor ist immer präsent – 365 Tage im Jahr. Ein effektives Verkehrssicherheitssystem muss menschliche Fehlbarkeit berücksichtigen.
Schweden hat eine der weltweit niedrigsten verkehrsbedingten Todesraten – und die Statistiken zeigen deutlich, dass Sicherheit die Mobilität nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil, die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur steht in direktem Zusammenhang mit der effektiven Verkehrssicherheit. Heißt also, je sicherer die Gestaltung, umso mehr können durchgeschleust werden. Und das gilt auch und gerade in dicht besiedelten Gebieten mit hohem Verkehrsaufkommen.
Um es kurz nochmal zusammenzufassen:
Es ist nicht die Schuld eines Benutzers einer Straße, wenn er einen nicht fahrlässig herbeigeführten Unfall verursacht, sondern die Schuld des Planers, der menschliche Fehlerquellen nicht berücksichtigt hat.
Gute Radwege sorgen also dafür, dass es zu so wenig Berührung mit dem KFZ-Verkehr kommt wie möglich. Wo dies nicht machbar ist, werden Radwege baulich so gestaltet, dass die Begegnung mit dem Auto auf dem höchsten Sicherheitslevel stattfindet. Eine durchdachte Wegführung, freie Sicht sowie Geschwindigkeitsreduzierungen verschaffen Klarheit darüber, wie Menschen sich hier verhalten sollen. Durch das Trennen von Gefährdern (hier das Auto, der LKW) und den Gefährdeten (den Radfahrenden) lassen sich schwere Unfälle erheblich reduzieren. Geschützte Radwege sind somit deutlich sicherer und für viele junge und alte Menschen sowie ungeübte Radfahrende wesentlich attraktiver. Vor allem die Niederlande und Dänemark machen vor, wie es geht. Gute Erfahrungen machen auch England, die USA und weitere Metropolen, die verstanden haben, womit sie sich zukunftssicher aufstellen können.
Immer wieder wird das Argument vorgebracht, auf der Fahrbahn (also auf Schutz- und Fahrradstreifen) zu radeln sei deshalb so sicher, weil man besser gesehen werde. Doch dieser Ansatz ist Nonsens. Eindringlich beschreibt Nick, der einen englischen Fahrradblog betreibt, anhand selbst gesehener und dokumentierter Situationen, warum das alles nichts bringt. („On why be safe, be seen is nonsense“)
„Das Einzige, was ich unter Kontrolle habe, ist, wie ich mich auf dem Fahrrad verhalte und nicht der Zustand einer anderen Person sowie deren Sinneswahrnehmung. Doch der „gesehen-werden“- Ansatz fordert das konkret: Er macht mich dafür verantwortlich, ob jemand anders die Straße beobachtet oder nicht. Er verschiebt die Schuld vom Autofahrer auf den Radfahrer: Wenn ich getroffen werde, ist es meine Schuld, dass ich nicht gesehen wurde, nicht die des Autofahrers, der nicht hinschaut. Es ist ein Sicherheitsratschlag, der sagt „stirb nicht“ im Gegensatz zu „töte nicht“. It’s bullshit!“
So – und nun stehen wir hier vor der Bushaltestelle am Schulweg.
Wir sehen hier ein Beispiel für Hamburgs wankelmütige Verkehrsplanung. Mal geht der Weg – wie früher eigentlich überall – auf dem Hochbord, mal auf der Straße. Am Ende sind alle Verkehrsteilnehmer verwirrt, wer denn nun wo zu fahren hat. Auch das birgt viele Gefahren und ist ein Grund, für das jämmerliche Abschneiden Hamburgs im Städteranking des Copenhagenize Index der fahrradfreundlichsten Städte. (platz 17 von 20) Wenn wir wirklich ernsthaft Fahrradstadt werden wollen, muss das anders werden! Das ist kein Zauberwerk. Dazu braucht es keine fancy Smart City, MOIA und City of Solutions Mobility Projekte, sondern muss endlich den Mut beweisen, den öffentlichen Raum zu Gunsten des Umweltverbundes umzuverteilen.
Und welche Ansätze von Vision Zero sehen wir hier?
An dieser nagelneu umgebauten Bushaltestellenlösung? Wir können keine erkennen. Vielmehr wird hier ganz bewusst die Fahrwegskreuzung und damit der Konflikt zwischen Bus und Radfahrenden in Kauf genommen. Ein No-Go! Wir hätten gern die Zuständigen aus den Planungsbüros und der Behörde hier gehabt, um sie mit unseren Fragen zu konfrontieren. Sind die Entscheider tatsächlich bereit, die Verantwortung für Unfälle, die hier jederzeit passieren können, zu übernehmen?
Wir fordern daher den Rückbau der Bustaschen und die Weiterführung des Radwegs auf das geschützte Hochbord des Gehweges. Ein gutes Beispiel für die Entschärfung des Aufeinandertreffens der Buspassagiere und der Radfahrenden gibt es z.B. an der U-Bahn Burgstrasse zu sehen.
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